Einrichtung für einen Vortragenden nach dem Roman von Paul Busson: Die Wiedergeburt des Melchior Dronte
eingerichtet durch Rainer Nowotny, inspiriert durch Birgit Friedberg
Ich erinnere mich sehr genau an einen Vorfall aus meinem fünften Lebensjahre. An diesem Abend nun konnte ich nicht einschlafen. Gerade als ich im Begriffe war, den Rand der Bettmuschel zu überklettern, war es mir, als hätte eine Stimme leise meinen Namen gerufen. Ganz deutlich sah ich, wie eine Figur unter einer Glasglocke mir sehr hastig und befehlend mit der Hand winkte.
So ging ich denn, lautlos weinend, dem Kasten zu, auf dem ein winkender Derwisch stand.
Ich hatte ihn beinahe, trotz meiner bange zögernden Schritte, erreicht, als etwas Furchtbares geschah. Mit entsetzlichem Dröhnen und Prasseln, in einer Wolke von Staub, Schutt und Splittern stürzte die Zimmerdecke über meinem Muschelbett ein.
Arme packten mich, rissen mich von der Erde auf. Blut rann mir in die Augen, und ich fühlte, wie man ein Tuch auf meine Stirne drückte. Ich hörte die scheltende, aufgeregte Stimme meines Vaters, das Jammern der alten Margaret und das Stöhnen.
Es blieb eine Narbe davon.
Ich spielte im Garten mit Aglaja. Sie war die Königstochter, verzaubert in Dornenhecken.
Da kam Stephan, der rief sich beeilen.
Beide liefen wir in das Zimmer des Großvaters.
Der Großvater saß ganz ruhig in seinem Schlafstuhl. Vor ihm stand mit gesenktem Haupt mein Vater.
Wir gingen wieder in den Garten und lauschten dem Rumoren, das alsbald im Hause anhub. Rechts im Flur war eine geräumige Kammer, in der ich als ganz kleines Kind, wie ich mich wohl entsann, meine Mutter zwischen vielen Lichtern hatte liegen sehen. Diese Kammer räumten sie nun aus und schleppten große Ballen schwarzen Tuches herbei.
Ich saß in einer Dachkammer unseres Hauses. Leise drehte sich ein Schlüssel im Türschloss. Es war Aglaja.
Sie stand ganz regungslos, und ich sah, wie langsam zwei Tränen aus ihren schönen grauen Augen rannen. Dann ging sie in die Ecke, setzte sich auf das Strohlager und weinte bitterlich.
Ich kniete mich zu ihr hin und streichelte ihr Haar.
Da lächelte sie unter Tränen, nahm meine rechte Hand in die ihre und führte sie an ihre junge Brust. Und ich dachte daran, wie ich einmal des Nachts, in einem dunklen, angstvollen Trieb, in ihr Zimmer geschlichen war und beim Schein der Nachtlampe ihre Decken gehoben hatte, um ihren Körper ein einziges Mal zu sehen. Sie war erwacht und hatte mich starr angesehen, bis ich aus dem Zimmer geschlichen war, von Reue und Furcht erfasst.
In stoßenden Wellen ging mein Blut.
"Gib nicht acht auf mich", lachte sie plötzlich. "Wenn es auch sein sollte - ich komme immer wieder zu dir!"
Einen raschen Kuss drückte sie noch auf meinen Mund, glättete ihre Kleider und lief rasch aus dem Dachzimmer.
"Aglaja! Bleib bei mir!" rief ich in jäher Angst.
Mir war auf einmal so bang.
Am Abend schrie Aglaja vor Schmerzen.
Um Mitternacht war sie tot.
Die Tage gingen. Ohne Anfang oder Ende. Ich sah zu, wie sie die Kammer ausräumten und die schwarzen Tücher brachten. Nebel zogen und es tropfte. Der letzte Tag vorbei.
Dunkelgelbes Licht fiel aus der Kammer; ein Sarg stand auf schwarzverhangenen Böcken, auf dem war ein Kreuz aus Silber, und eine hohe Totenkrone, mit Flittern, buntem Glas und Spiegelchen behängt. Das Wachs rann und tropfte, die Kerzen flackerten. Die Blumen rochen nach Erde.
"Staub zu Staub -", sagte der Pfarrer.
Sie trugen den Sarg hinunter. Etwas fiel polternd um da drunten in der Finsternis.
"Aglaja friert -", sagte eine Stimme mir.
Eine Alte hatte mir gesagt, dass um die Mitternachtsstunde des Sterbetages die Toten in dem Hause umgingen, in dem sie bei Lebzeiten gerne gewesen seien. Ich hielt in meiner Hand einen Leuchter mit einem der Wachslichter, die vor einem Jahre an Aglajas Sarg gebrannt hatten, und wartete, dass sie käme.
"Aglaja" rief ich leise und spähte den Gang hinunter.
Da öffnete sich lautlos die Türe des Schrankes, an dem ich gerade stand, und im unsicheren Lichte der Kerze glaubte ich eine uralte Frau mit ganz verrunzeltem, braunem Gesicht und einer großen weißen Haube zu sehen. Ich taumelte an die Wand, aber als ich mich mit allem Mut zwang, noch einmal hinzublicken, konnte ich nichts wahrnehmen als die geschlossene Türe.
"Die alte Frau war's -. Die Urgroßmutter von der Aglaja.
Ich stolperte die Stiegen hinunter.
Am Nachmittag wurde der Heiner Feßl hingerichtet.
Mir ward übel vor Angst, als ich von weitem den dumpfen Trommelschlag und das Brausen der Menge hörte. Alle Gassen waren voll. Den Feßl hatten sie auf des Henkers Karren überall herumgefahren, und nun sollte er zurückkommen.
Zwei Knechte in schmutzigen roten Röcken führten einen beleibten älteren Mann mit grauem Haar auf das Gerüst. Hinter ihm stieg der Rotmantel die Stufen hinauf und stand gleich mit nackten Armen da.
"Plumplumplum" kollerten die Trommeln der Soldaten, die das Schafott umgaben.
Der Henker trat vor, hob mit beiden Händen ein Rad, dem ein Eisenstück aufgesetzt war, hob es hoch auf und stieß es mit der ganzen Kraft seiner fleischigen Arme nieder.
Schreie! Ich erbrach mich.
Am Ende des Ganges führte eine steile Treppe zu den Mägdekammern. Als ich vorüberkam, sah ich, dass jemand am Fuß der Treppe saß und schlief. Es war die Gudel, ein braunes junges Mädel mit kecken Augen und Zöpfen, die bis an die Kniekehlen hingen. Wenn ich ihr verlangend nachsah, lachte sie mit den weißen Zähnen und wendete sich des öftern um. Da saß sie nun eingeschlafen, nur mit einem kurzen roten Unterrock bekleidet.
Bei meinem Schritt schrak sie zusammen. Ich griff nach ihrem bloßen Arm, der sich fest und kühl anfasste.
Sie lächelte und stieg langsam, sich in den Hüften bewegend, die Treppe hinauf, schlüpfte in den Verschlag, den sie bewohnte.
Ihre Arme legten sich fest um meinen Nacken -. "Aber keinem was verraten", sagte sie nachher.
Ich hatte vieles gelernt, konnte Wein schlucken wie Wasser und hinter den Hatzrüden reiten und Mädchen ins Gras werfen. Es gab welche, die weinten bitter. Die Lorle aber lachte und sagte: "Einmal hat es sein müssen -"
Aus dem kecken Angesicht des Dirnleins wuchs ein anderes Gesicht, bleich und rein, von rotgoldenen Haaren umstrahlt wie von einem Heiligenschein, und mit heftigem, nie gefühltem Heimwehschmerz dachte ich an meine tote Aglaja, deren Andenken ich so elend gehalten hatte, dass mir nun jede recht war. Da war es mir auf einmal, als ob dunkle Strahlen in meine Augen drängen.
Langsam kam aus der Menge ein Mann heran. Es durchzuckte mich, als ränne ein glühender Tropfen von meinem Scheitel durch den Leib. Unverwandt sah mich der immer näher Kommende an... In schweren Falten fiel ein weites rotbraunes Gewand. Um das Haupt trug er ein schwarzes Tuch gewunden, und um den Hals hing eine Kette von Bernsteinkugeln. Niemand schien seiner zu achten denn ich. Niemand wandte sich nach ihm um, und dennoch gingen ihm alle aus dem Weg, als sähen sie ihn. Er kannte den Weg, seine Füße schritten ihn.
Aber er ging an mir vorüber mit einem Blick, in dem es wie Trauer lag. Er ging vorüber!
Eine Weile stand ich und konnte mich nicht regen. Da fasste ich mich, wandte mich um und lief ihm nach. Aber der Platz leer. Niemand war zu sehen. Und plötzlich riss es mich zusammen, als ob ein Blitz vor mir eingeschlagen hätte: der Derwisch.
Es war eine mühselige Fahrt.
Als wir der Stadt näher kamen, blieb der Wagen vor einer Herberge stehen. Kaum waren wir aus dem gelben Kasten gekrochen, schoben sie uns über die Stiegen hinauf in ein langes, niedriges Zimmer. Auf dem von nassen Gläserkringeln bedeckten Tisch lag ein erdiger, gelber Totenschädel, der aussah, als hätten sie ihn eben aus dem Beinhaus gestohlen, auf zwei gekreuzten Degen. Zwei Talgkerzen in Porzellanleuchtern entzündeten sie alsbald, stellten uns an das schmale Ende des Tisches, sich selbst mit gezogenen Hüten um den Tisch herum, reichten einander übers Kreuz die Hände und sangen mit rauen Stimmen.
Schon auf der Fahrt hatten ich mich entschlossen, einem der Bünde beizutreten. Schließlich war es gleich, welche Bruderschaft mich aufnahm, und da es sich so fügte, war mir dieser Amicisten-Orden nicht uneben.
"Neiget eure Köpfe!" befahl der Hans.
Im nächsten Augenblick rann jedem von uns das stürzende Bier einer umgekippten Kanne über Gesicht Hals und Schultern. Als wir hustend und spuckend aufschauten, unter dem tosenden Gelächter von etwa fünfzehn Burschen, die in diesem Gemach waren, erhielten wir Ordensnamen. Mich nannten sie "Mahomet".
Über dem täglichen Schlaraffenleben und wüsten Tun vergaß ich in wenigen Monaten alles. Unser Lieblingsort war der "Gütige Kurfürst", wo sie das schwere Braunbier und den guten Mosel ausschenkten.
"Bring den Stiefel, den großen, mit Moselwein, Herzallerliebste!" befahl der Montanus.
"Verwettest du deinen Degen mit der goldeingelegten Toledoklinge, so sauf ich den Stiefel in einem Zug und Hui!" grölte der Dicke.
Weit öffnete er den Mund, legte die Unterlippe fest ans Glas und ließ den Wein mit hellem Glucksen in die Gurgel rinnen.
Denn eh' es hinunterlief, öffnete der Montanus wie in einem jähen Schreck weit die Augen, dass man die Blutäderlein im Weißen schwellen sah, und sein Gesicht ward dunkelblau.
Da fiel der Stiefel und brach in Stücke. Die Hände ließen ihn aus und griffen in die Luft. Ein Gurgeln kam aus dem offenstehenden Munde. Und dann fiel der dicke Montanus wie ein Sack zu Boden. Haymon aber beugte sich behände nieder, griff dem Toten in die Taschen, fand die Börse und schüttelte etliche Gröschlein und einen Mariendukaten auf den Tisch.
Am Abend des Tages, an dem mir der Jude Lewi gesagt hatte, dass mein Vater kein Geld mehr schicke und mich nach so vielen Streichen meinem Schicksal nunmehr gänzlich überlasse, soff ich mich toll und voll.
Da zog ich los und die ganze Corona mit mir, in die finstere Schmiedgasse, zog die Plempe und begann flugs aus vollem Halse zu schreien: "Hundsfott! Komm heraus und stell dich!"
In der Türe erschien der lange Heilsbronner-Graf in Hemd, einen langen Raufdegen unter dem Arm. Der Mond kam gerade hinter den Wolken hervor, und es war licht genug, um das wilde, blatternarbige Gesicht zu sehen.
Ich stieß behände zu, traf ihn aber nicht. Er parierte blitzschnell und war in allen Finten zu Hause. Ich stieß eine verkehrte Quart, da unterfuhr er mich und schlitzte mir brennend den Oberarm. Rasch fiel ich aus und traf Hartes, glitt ab und stach ihn tief in die Brust. Der Degen fiel ihm rasselnd aus der Hand.
In seinem Hemd war ein dunkler Flecken, der griff um sich.
Wir ließen ihn auf den Boden nieder. Der Schweiß brach mir aus.
Wir hörten viele Füße trappeln, näher kommen. Die Wache lief herzu.
Wir rannten, was wir konnten.
Der Haymon atmete rasch: "Deines Bleibens ist hier nicht mehr. Nimm meinen Rat, in Distelsbruck sind Werber des Königs von Preußen, lassen trompeten und geigen und Wein rinnen, dazu Goldfüchse auf den Tisch prasseln."
"Soldat - meinst du? -", fragte ich beklommen. Mir ward angst und bang, und bittere Reue über meine Jugendjahre erfasste mich, die ich so schnöde vertan hatte.
War ich nun grausam verkauft. Ich sah mich um wie einer, der in wilden Wassern am Ersaufen ist und nach Rettung ausschaut.
Rundum Soldaten mit kaltem Blick. "Wohin?"
"Dorthin, wo man für dich ein Loch in den Sand buddelt und drei Schuss darüber tut, Rotznase!" So trieb uns der Wachtmeister.
Wir kamen zum Dorf hinaus, die Kinder liefen uns noch eine Weile nach.
Bei den Linden aber saß einer und sah mich an - voller Mitleid.
Es war ein Mann in einer rotbraunen Kutte. Unter dem schwarzen Tuch um seinen Kopf war ein Gesicht von unbeschreiblicher Milde.
Ich sprang von meinem Sitze auf und breitete die Arme aus nach ihm. Aber ich sah ihn plötzlich nicht mehr.
Die Schultern taten mir weh von den groben Hieben mit dem Korporalstock, der beim Exerzieren auf uns allen tanzte, mein linkes Auge war verschwollen, weil mich der Leutnant mit der Reitpeitsche geschlagen, meine Hände waren schrundig und aufgerissen vom Gewehrschloss, und unter dem Nagel des rechten Daumens quoll der Eiter hervor, wenn ich etwas angriff. Am ganzen Körper juckte und fraß Ungeziefer. Mein Leib war müde zum Sterben.
Als wir im Glied auf dem Hofe standen, wurden von Mann zu Mann die Haselstecken verteilt.
"Erstes Glied - zwei Schritte vor! Marschieret! Halt! - Kehrt euch!"
Zwei lange, endlos lange Reihen standen Gesicht gegen Gesicht.
Die Augen des Deserteurs traten glotzend aus ihren Höhlen. Die Stöcke trafen schmatzend, Blut rann. Er fiel am Ende der Doppelreihe wie ein Sack in sich zusammen.
In der Wachstube brannte eine Ölfunzel, als die Türe aufging und der Wetzlaff mit dem Mädchen eintrat.
Der Unteroffizier nickte, sah das Ding mit einem halben Blick an und ging dann wie zufällig rasch aus der Wachstube. Hinter ihm wurde sogleich die Tür verriegelt und versperrt.
Die Soldaten-Katharine stand nun allein unter den vielen Männern.
Einer von der Wache trat vor. Der Gefreite öffnete ihm Rock, Weste und Hemd.
Die Brust des Mannes war mit garstigen roten Flecken besät.
Im Gesicht des Mädchens wechselten Schreck, Furcht und Wut.
In wenigen Augenblicken stand sie in der armseligen Nacktheit ihres verbrauchten Körpers, sich windend unter den harten Händen, die ihre Handgelenke und Arme hielten.
Der Gefreite zeigte mit dem Finger auf viele weiße Flecken, die sich von der bräunlichen Haut des Halsansatzes und der Schultern deutlich abhoben.
"Du Schlumpe"
Nun aber fassten mich Abscheu. Ich sah, wie sie nach ihr griffen, sie an den Haaren zu sich her rissen.
Da sprang ich hin: "Lasst ab von ihr!"
Mit geballten Fäusten und wütend verzerrtem Gesicht trat Wetzlaff auf mich zu.
"Kameraden", sagte ich, "habt Erbarmen. Sie ist nicht schuldig. Und sie ist ebenso arm und verlassen wie wir alle!"
Seit einer Woche fehlte der Kregel.
Eines Tages kam ein Förster, Kinder hätten einen Soldaten im Baum hängen sehen. Sie seien aber vor Schreck sogleich davongerannt. So gingen wir den Kregel suchen.
Als ich so allein mit mir war, musste ich an den Kregel denken, der nun von aller Marter und Pein erlöst war. Wie, war es nicht am gescheitesten, dieses Hundeleben von sich zu tun? Wie uns die Korporale prügelten nach Herzenslust; wie elend das Essen war. Aber dass gar keine Hoffnung sich zeigte. Denn irgendeine Hoffnung muss der Mensch haben, soll er nicht verdorren und verwelken.
Bäume gab es rundum genug; an irgendeinem Ast wollte ich meinen Riemen befestigen.
Ich schickte mich an, meine letzte Tat zu Ende zu bringen, als ich stehen bleiben musste. Es war der Mann in der Kutte mit dem schwarzen Turbantuch. Vor ihm stand ein Reh, das sein schmales Haupt schmeichelnd an des Derwischs Knien rieb. Langsam aber stand er auf, schritt über den Schlag und verschwand zwischen den hohen Bäumen.
Ich rannte mitten in das hohe Holz und stand auf einmal unter meinen Kameraden. Gerade hatten sie den Kregel gefunden und abgeschnitten.
In dem abendroten Himmel flog stumm ein endloser Krähenzug. "Das bedeutet Krieg!" sagte der Wetzlaff und sah mich an.
/******************** Kriegslärm */
Wie lange waren wir im Feld?
Da schmetterte eine helle Trompete. - "Alarm!"
Fürchterliche Angst senkte sich aus den Tönen nieder. Die Angst vor dem, was nach dem Tode sein würde.
Der Leutnant am Flügel schrie.
Breite Klingen stachen nach uns, Pferdeköpfe schnaubten. Die Arme stießen den Lauf mit dem Bajonette vor. Ich riss es aus dem Hals eines Braunen. Man trat auf Leiber.
Irgendwo im verschneiten Forst lag das Gewehr.
Seit vielen Tagen irrte ich über die Grenze. Den zerrissenen Rock hatte ich einem Gehenkten abgezogen.
Eine Schankmagd hatte Mitleid mit mir und steckte mir heimlich einen Keil Brot zu.
Die Zigeuner, mit denen ich lange gezogen war, waren über die Grenze zurückgewandert.
Da und dort fand ich in den Bauernhöfen etwas Arbeit und Essen.
Am Eingange eines Ortes stand ein Bildstock, auf dem Mordbrennerzinken ich entziffert hatte.
Unschlüssig, was ich damit beginnen sollte, bemerkte ich, dass wenige Schritte hinter mir ein hagerer, weißhaariger, sehr stattlicher und aufrechter Bauersmann stand.
"Der Herr kommt wohl zu uns?" sagte er lauernd. "Ich will ihm den Weg in den Gasthof weisen. Neugierde ist das Recht des Eingesessenen gegen Fremde. Zudem bin ich hier die Obrigkeit."
Ich sagte rasch. "Euer Dorf ist von einer schweren Gefahr bedroht. Es gibt gewisse Zeichen", sagte ich, "mit denen die Mordbrenner und Marodebrüder einander ihre Schlechtigkeiten ansagen. Solche Zeichen fand ich auf Eurem Bildstock."
"Seid unbesorgt", wehrte er ab. "Es geht auf meine, des Dorfschulzen, Kappe, wenn etwas verabsäumt wird, keinesfalls tragt Ihr die Schuld. Und nun los mit Eurer Zigeunerweisheit!"
Drei baumstarke Burschen mit Schießgewehren, Säbeln und zwei riesigen grauen Schäfer- oder Fanghunden traten ein und kamen mit Stricken in den Händen schnurgerade auf mich zu.
"Lasst das Herrlein!" winkte der Schulze "Umstellet alles wohl, wie ich es euch. Frieder, dieser Teufelsbraten ist der Anführer von fünf Mordgesellen. Die fünf Helfer mögen den Schnee küssen, den Frieder, will ich lebendig haben."
Ein dumpfer Schuss weckte mich, dem ein lauter Schrei antwortete. Dumpfe Schläge, die niederfielen, und ersticktes Gewinsel. Ein aufgeregter Junge stürzte herein und stotterte: "Der Schulze will, dass Ihr kommt!"
"Nun, Frieder, sieh dir ihn an - kennst du den Mann?" wandte er sich an den gefesselten Räuber.
"Im Blute, er war dabei! Er war mit!" schrie der Frieder und sah mich mit teuflischer Lust an. "Wie wir gegen das Dorf zogen."
Der Räuber lachte gellend auf, und der Speichel rann ihm übers Kinn.
In einem großen Obstanger warfen sie den Strick über einen warzigen Knüppelbaum, knüpften die Schlinge und hoben den Gebundenen auf.
Da hatten sie seinen Lästerungen auch schon ein Ende gemacht. Seine Füße zuckten und zappelten wild in der Luft.
Endlich war ich in die Heimat gelangt und stand vor dem Tor, durch das meine Mutter, des Vaters Vater und die Aglaja weggetragen worden waren.
Der Mensch, der mir auftat, sagte, dass dem Dronte im vorigen Sommer unter wildem Hin- und Herwerfen des Leibes die Seele davon sei.
Ich wandte mich ab und ritt langsam an allem vorüber.
Was mir so bitter weh tat, war der Umstand, dass von all den tausend Dingen, die meiner Mutter gehört hatten, nicht ein einzig Stück oder Bildlein auf mich gekommen war.
So schritt ich zwischen den Eisenkreuzen, auf dem ein kaum mehr lesbarer Name stand und ein Spruch. "Ich werde nicht ganz sterben."
"Gerne hatte ich eine Rose von deinem Grab für immer bei mir getragen, Aglaja", sagte ich leise.
Am Abend des Tages aber, an dem ich in der großen Stadt Wien angekommen war, nach langem Hin und Her durch dunkle, schlecht beleuchtete und holperige Straßen, gelangte ich endlich vor ein großes Tor, schritt über einen großen, feuchten, mit Efeu umwachsenen Hof und stieg dann eine steile, kaum beleuchtete Wendeltreppe empor.
Dort stand ich in der Helle, in einem Zirkel, in dem ritterliches Amüsement, an mehreren Tischen gespielt wurde.
Es war mir, als säße Aglaja mir gegenüber. Bald hörte ich auch ihren Namen, den der Bucklige in fremdartigem Deutsch und stets in barschem Befehlston aussprach: "Zephyrine". Und jedesmal, wenn das Scheusal von dem holden und einsamen Kind irgendeinen Dienst heischte, ging um den zahnlosen Mund des spinnenfingrigen Greises, den sie Graf Korony nannten, ein unsäglich widriges und lüsternes Grinsen.
Indessen wurde sehr hoch gespielt. Zuerst spielte ich vorsichtig mit, machte auch zweimal Doublé, aber schon beim nächsten Aufschlag verlor ich, versuchte Verlorenes rasch wieder einzubringen und verlor neuerlich und wiederholt.
Ich ging und fühlte noch, wie eine eiskalte, kleine, bebende Hand die meine suchte, und presste die Finger um ein gefaltetes Stück Papier, das sie mir zuschob.
Die Straße war leer. Ich entfaltete den Zettel und las: "Retten Sie mich!"
Mir fiel meine Jugendfreundin Lorle wieder ein.
Ich betrat ein Boudoir, sie streckte mir lächelnd die Hand entgegen, und ich war neuerlich betroffen von dem ungewöhnlichen Reiz.
"Nehmen Sie sich, mein allzu freundlicher Kavalier, vor diesem Vogel in acht", sagte sie leise.
"Wie wird es mir ergehen?" redete ich den Papagei an. "Kopf ab! Kopf ab!" schrie das Vieh gellend und blickte mich mit teuflischer Freude an.
"Kennen Sie Dottore Postremo." fragte ich Lorle.
"Er ist italienischer Arzt - viele Frauen suchen ihn auf. Er soll eine sehr schöne Ziehtochter oder Nichte bei sich halten", Lorle sah mich lauernd an. "Seien Sie vorsichtig! Der Mann ist zu allem fähig!"
Sie legte ihre weichen, vollen Arme um meinem Hals, und ehe ich mich dessen versah, saugten sich ihre heißen roten Lippen an meinem Munde fest.
"Vergiss mich!" Da ging ich langsam und schloss die Türe zwischen mir und der Schluchzenden.
Mit Leidenschaft betrieb ich meine Nachforschungen nach des Doktor Postremo, auf das Glück zu hoffen, Zephyrine zu sehen.
Eines Tages endlich sah ich zu meinem freudigen Staunen die bucklige Missgestalt des Doktor Postremo mit fuchtelnden Händen in einem Kaffeehaus.
Als ich die Stiege hinauf lief, huschte ein schattengraues Weib vorbei. " Ich muss zu Demoiselle Zephyrine", flüsterte ich.
Die Vettel grinste und zog mich durch einen düsteren Gang in ein halbdunkles Gemach, das wie die ganze Wohnung vom Geruch bitterer Mandeln erfüllt war.
Eine weiße Gestalt stand regungslos. "Zephyrine!"
"Ich wusste es, dass du kommen würdest", flüsterte sie leise.
Rasch schritten wir, Zephyrine im Schutze eines Mantels und dichten Schleiers, die Straße hinunter und erreichten mein Quartier.
Mein Erscheinen war in äußerster Stunde erfolgt, da der elende Postremo die letzten Vorbereitungen zu seinem Verbrechen traf.
Als ich den jungen, hüllenlosen Leib zum ersten Male in meinen Armen hielt und ihren Schlaf bewachte, überkam mich große Angst.
In einer kleinen Gemeinde unweit der Hauptstadt war unsere Trauung erfolgt, und dann ein ganz im Buschwerk und Bäumen verborgenes Häuschen angekauft. Ungetrübte Sonnentage zogen über uns dahin. Sehr bald nach der vollendeten Einrichtung des Hauses fühlte sich Zephyrine Mutter.
Einmal sah ich einen namenlos entsetzten Ausdruck in ihrem Gesicht. Hinter mir stand der bucklige Arzt mit den dicken schwarzen Augenbrauen.
Er lachte und setzte sich mit boshaftem Lachen auf einen der Stühle, zeigte auf die Phiole. " Geben Sie alle Tag' drei Tropfen der Mutter"
Langsam schlurfte er den Weg hinunter.
Die Blumen waren längst verblüht, Zephyrine lag in ihren Schmerzen. In der Nacht hatte sich Fieber eingestellt, die rasch herbeigerufene Wehmutter schüttelte den Kopf.
Der alte Arzt kam mit einer großen schwarzen Tasche, in der Instrumente klirrten. Ich trat leise mit ihm an das Lager der Kreißenden, kalter Schweiß bedeckte das Gesicht meiner Zephyrine.
"Der Kaiserschnitt ist in unserem Falle wegen der furchtbaren Schwäche der Frau und namentlich bei dem hohen Fieber, dessen Ursache in einer von außen kommenden Vergiftung des Geblütes liegen muss, eine gefährliche und ungewisse Operation.
"Liebste, bekenne die Wahrheit - hast du von des Buckligen Trank gekostet?"
Ein schwaches Lächeln huschte über ihr leidendes Gesicht.
"Warum tatest du's?"
Der Arzt sah zu Boden.
Zephyrine in Todesgefahr?
Wo blieb dann der Sinn des Lebens?
Ein Schrei der schrecklichsten Pein riss mich aus meinen Betrachtungen.
Dann ward es still drinnen, totenstill.
"Treten Sie ein und bringen Sie das Opfer, den eigenen Schmerz zu verbergen, damit die Sterbende ohne Seelenmarter entschlafen kann", sagte langsam der Arzt.
Ich fasste ihre Hand, die leicht und kühl war wie ein Rosenblatt.
Lange saß ich so. Ich konnte nicht weinen, nicht denken.
"Fühlen Sie sich stark genug, um die Ursache des Todes zu betrachten?" riss mich der Arzt aus meinem Brüten.
Da lag ein kleiner Rumpf, und dieser kleine Leib trug auf den Schultern zwei Hälse, und auf den Hälsen saßen zwei Köpfe.
Ich warf mich über den Tisch, und ein trockenes Schluchzen würgte mich im Halse.
Ein furchtbarer Gedanke stieg in mir auf. Ich riss die Tür des Waffenschrankes auf und stürmte in den Schneefall.
Als ich im halbdunklen Flur des Hauses stand, dröhnte nur ein Wort in meinem Kopf. "- Abgereist -"
Postremos
Sie war tot.
Nie mehr - - - .
Ich war nur noch eine leere Hülle, aß dann und wann, schlief auf Stühlen ein. Meine Augen waren entzündet. Manchmal fraß brennende Sehnsucht in mir, und ich rief schluchzend Zephyrine, auch Aglaja.
Von ihr selbst hatte ich nur ein Löcklein des Haupthaares behalten.
In ein fremdes Land wollte ich. So kam ich auf zielloser Wanderung an einen Ort. Vor einer großen Bude, auf der ein Bild auf Leinwand gemalt war, blieb ich stehen. "Der berühmte Nekromant, genannt der ungarische Doktor Faust."
"Wenn es Ihnen möglich wäre, eine aus diesem Leben abgeschiedene, mir überaus teure Person noch einmal zurückzurufen, würde ich mich Ihnen mehr als erkenntlich zeigen."
"Ich bitte den Herrn, sich in drei Tagen eine halbe Stunde vor Mitternacht hier einzufinden. Am Tage, an dem das Werk vor sich gehen soll, muss der Herr sich absolut jeglicher Speise und auch der Getränke, mit Ausnahme reinen Wassers, enthalten. Sodann ist eine Reinigung des Körpers und frische, saubere Kleidung vonnöten. Außerdem möge ein Gegenstand mitgebracht werden, der der abgeschiedenen Person zu eigen war."
"Also in drei Tagen -"
Eines stand in meinem Herzen, dass ich Zephyrine wiedersehen würde.
Ich ließ den Silberring mit dem Feueropal in die Hand seines Bruders gleiten. Der Magus erschien.
Der Bruder nahm eine seiner herabhängenden Hände, legte den Ring in die Hand, streute Körner aus der Kupferschale über die knisternden und glimmenden Kohlen. Sogleich stieg ein blauer, angenehm duftender Rauch empor.
Und auf einmal sah ich, wie gelähmt von freudigem Schreck, ganz blass und fast durchsichtig das geliebte Gesicht Zephyrines, ihre auf mich gerichteten unbeweglichen Augen.
Ich wollte aufspringen. - Aber vor meine Augen legten sich Schleier, meine Füße staken in bleiernen Schuhen, mein Herz stand still.
Der Magus, der vom Schemel gestürzt war, lag in Krämpfen.
"Wach auf, Eusebius!" schrie der Bruder und schüttelte ihn.
Nach längeren Bemühungen erhob sich der Nekromant: "Warum zwei?"
"Der Bucklige -", schrie er auf. "Zwei Köpfe - zwei Kinderköpfe -."
Und ohne Besinnung stürzte er zusammen.
Lange Zeit lebte ich ruhig und nur in die Erinnerung glücklicher Tage versunken in einem kleinen, weltabgeschiedenen Orte und gedachte, dort mein Leben zu beschließen.
Eines Morgens jedoch entstand vor dem Laden des Bäckers ein Auflauf.
Ein Fremder habe ganz in der Nähe einem Burschen aufgetragen, in diesen Ort zu gehen, ein Mann , der ein schwarzes Tuch um die Stirne trug.
Anderntags fuhr ich.
Große Wissbegierde, innerlichen Ruhe, mit der ich alles, was geschah, als unabänderliche Fügung zu betrachten lernte.
Einen Bauer nahm ich mit seinem Gespann in meine Dienste. Als wir in eine moorige Heidegegend gelangten, begann er von dem Wirtshause zu erzählen, in dem wir Unterkunft finden sollten für eine Nacht und das "die Kugelmühle" genannt war. Die Gegend war düster und traurig.
Es ging lange Zeit dahin, bis wir vor dem finstergrauen und unfreundlichen Hause angelangten. Nach langem Rufen erschien endlich der Wirt mit einem riesigen Hund. Der breitschultrige Mann, dem in der fetten Lederhose ein übermäßig langes Messer stak, sah uns unfreundlich genug an.
An einem langen Tisch saßen drei Studenten. " He, Kugelmühlwirt, schwing dich und hol Wein!"
Für die Nacht war mir weh genug.
Der Flegel von Wirt nahm ohne weiteres das letzte, kaum mehr für eine Viertelstunde ausreichende Licht vom Tisch und brummte: "Wer nun schlafen will, der gehe mir nach!"
Indes dachte ich daran, dass der Bauer nicht mit uns war.
"Wo ist mein Fuhrmann untergebracht?" fragte ich den Wirt.
"Wer weiß, ob's morgen gar so eilig wird sein."
Wir traten in einem großen, ganz leeren Saal, in der Mitte des Raumes stand, sonderbar genug, eine dicke, runde Säule. Sternenförmig um diese Säule waren fünf Liegestätten hergerichtet. Irgendeine dunkle Ahnung lag warnend und schwer in meiner Magengrube. Von oben bis unten, wies die steinerne raue Säule glattgeschliffene Streifen auf, als glitte etwas Schweres des öfteren an ihr auf und ab. Vom selben Gedanken erfasst, blickten wir nach oben auf den Ring, dass in übermäßiger Ausladung und mächtiger Breite die Säule abschloss.
Leichte Schritte kamen den Gang entlang.
Es lauschte an der Tür.
Leise huschte es von der Tür weg, den Gang hinunter.
Bumm! - schlug es schwer und stampfend.
Der Atem blieb uns aus. Der breite Säulenring war heruntergekracht und hatte die Kopfpolster unter sich begraben und das Haupt des Haymon.
Hallenden Schrittes kamen der Wirt und sein Weib den Gang entlang, stießen die Türe auf.
Der Wirt trug eine große Stalllaterne, in der rechten Faust ein scharfes Beil, die Furie hinter ihm umkrallte ein Schlächtermesser. Des Hoibusch Klinge fuhr dem Kerl durch und durch, und der Garnitter durchstieß den gelben Hals des Weibes.
Oben im Haus heulte der Hund.
Müde tappte ich hinter den anderen drein, die von des Wirtes Gurt den Schlüsselbund gelöst hatten und nun in den Keller stiegen. Da lagen wohl zwanzig Leichname, von Ratten angefressen.
Wir polterten die Stiegen hinauf, liefen aus dem Hause und setzten uns tiefatmend auf die moosigen Steinkugeln, und der Regen rann an uns herunter.
Wir fuhren miteinander durch den trüben Morgen der Heerstraße zu.
Der Pfad, den ich auf Rat eines Schäfers eingeschlagen hatte, war ein alter, verfallener Kleppersteig, der ziemlich steil bergan führte.
Da sich niemand sehen ließ, betrat ich den Schlosshof.
Ein weißhaariger Mann mit rotem Gesicht kam auf mich zu.
Ich nannte mich. "Wie? Was? Dronte, etwa gar der Sohn meines alten Kumpans und Weidgenossen?"
Wir stiegen durch das totenstille Haus. Vor meiner Tür gab mir der Magister das Licht, indem er sich mir eine gute Nacht wünschte.
Ich hob das Licht einem anderen Gemälde entgegen.
Da ging mir ein feiner und schneidender Stich durchs Herz.
"Aglaja"
Nein, Zephyrine war es.
Unter dem Gemälde las ich:
Contrafayt der Heva Weinschrötterin,
Mit dem Schwert gerichtet allda anno 1649.
Was war Schein und was war Wahrheit?
Beim Umherwandern fand ich ein irdenes Töpflein, das am Henkel ein viereckiges Pergament trug: " Numerus 16. Hexensalbe, unter der Bettstatt der Höllerin entdeckt."
Ich zog das Hemd ab, bestrich mit dem Zeug die Brust, Bauch, Hände, Füße und Stirn, blies die Kerzen aus und legte mich in das krachende Bett.
Ich sah den halben Mond im Fenster stehen. Dann stieg ich langsam im Bette empor, schwebte zwischen Zimmerdecke und Fußboden. Dabei sah ich mich nun selbst im Bette liegen. Ich staunte über nichts, erschrak auch nicht, als die Heva Weinschrötterin behutsam aus dem Wandrahmen stieg und durchs offene Fenster entschwebte. Da wandte ich mich dem offenstehenden Fenster zu und flog über die Pappeln hin.
Gestalten sammelten sich um mich. Fahler Schein blendete.
Da entstand ein ungeheures Schreien, Jauchzen und ein wilder Gesang stieg auf.
Tausend Arme, Finger, Krallen und Nägel streckten sich nach mir aus.
"Fangt ihn! Haltet ihn!"
"Sie haben das Fieber!" Neben mir saß der Magister.
Ich war ernstlich krank geworden.
Wozu hatte mein Leben gedient, wem war es etwas nutz gewesen? Leidenschaften, aller Unrat der Sünden und wüster Spuk war sein Inhalt. Ach, wie verachtete ich mich so tief, wenn ich zurückschaute auf die verlorenen Jahre!
In mir war das furchtbare Gefühl des Zwecklosen und für den Verfall Reifen.
"Alles diente der Läuterung" Neben meinem Bett stand im Dämmer der Derwisch, ich!
"Wer bist du -?"
"Es ist die Gestalt, die du mir gabst." wehte es her. " Nahe bist du dem Ziel, Bruder. Du bist müde vom weiten Wege und musst doch noch wandern. denn das Ziel? Das Leben, das Ewige. Zweierlei ist die Art der Wiedergeburt nach dem Gesetz", sprach er: "Unbewusst und bewusst. Wiederkehren ohne Bewusstsein oder wiederkommen, und das Bewusstsein über den Tod retten? Du hast verstanden. Lebe wohl!"
/*Besinnung*/
Als ich wieder allein lag, nahm ich einen Spiegel. Auf dem Haar lag silberner Reif. Ich war alt geworden, alt und müde.
Der Magister führte mich in eine rheinische Stadt. Meine Schwäche nahm arg zu.
Nach langen Wochen eines nur leise sich regenden Lebens, saß Doktor Schlurich an meinem Bette.
"Ich freue mich, dass Ihre kräftige Natur den Sieg über ein schweres Nervenfieber davongetragen hat."
"Ärztliche Kunst könnte im besten Falle Schmerzen und Unruhe lindem, muss aber gleichsam zusehen, wie der Streit hin und her wogt. Im großen und ganzen muss der Kranke das Heilmittel in sich selbst tragen oder hervorbringen. "
Nach einigen Tagen stieg ich langsam in den Speisesaal und fand Doktor Schlurich, der sogleich sich neben mich setzte.
Wir gerieten in ein Gespräch über die aufregenden Vorgänge in Frankreich. Ich konnte ihm nicht verhehlen, dass mir die dort begonnene Bewegung für die ganze Menschheit bedeutungs- und geradezu verheißungsvoll dünke.
"Tiefgehende Umwälzung?" ...der Arzt sträubte sich, "jenen gesellschaftlichen Veränderungen, die man Revolutionen nennt, wilder Entfaltung tierischer Triebe, die Herrschaft über die sinnlose Masse?"
Wir schwiegen, allgemach glitt unser Gespräch anderen Dingen zu. In der Stadt lebe eine Demoiselle, die schon des öfteren in magnetischen Schlaf versetzt worden und in diesem Zustand Fragen, die sich auf Vergangenheit und Zukunft vollkommen richtig beantwortet habe.
Wir machten uns auf den Weg.
Wir stiegen im Schein der Talgkerze eine schmale Treppe hinauf in ein achteckiges Gemach.,
Ein etwas schiefgewachsenes ältliches Mädchen trat ein. Hinter ihr ein dunkel gekleideter Mann.
Er ging zu dem regungslos sitzenden Mädchen, streckte die ausgebreiteten Finger gegen ihr Gesicht und strich ihr mehrmals leise über Stirne. "Ich darf bitten die Fragen zu stellen!"
Bisher war ich von dem, was die Hellsehende gesagt hatte, so benommen geblieben, dass ich zuletzt fragte:
"Wann werde ich meinen Derwisch wieder sehen?" fragte ich.
Die Demoiselle ächzte. "Ein Messer hängt - fällt - - Ah!"
Ein gellender Schrei kam aus ihrem Munde.
Als ich die französische Grenze überquert hatte, begab ich mich in die Herberge. Die Tische um mich waren voll von Menschen. Fuhrleute, Bauern, Händler, Bürger und Handwerker besprachen mit der ganzen Lebhaftigkeit ihrer Natur die letzten Vorfälle, die zunehmende Häufigkeit der Hinrichtungen.
"Dronte!" flötete eine widerliche Stimme. Auf einem Holze saß ein Papagei. Ein scharfer Schmerz ging mir durchs Herz, als ich das Bild von Lorle gegen diese schauerliche, lemurenhafte Erscheinung hielt.
Ich war froh, als ich im Wagen davonfuhr.
Vor einer Stadt hielt uns ein starker Haufen bewaffneter Bauern auf.
In der Stadt begann tief und drohend eine Glocke zu läuten: Tod - Tod - Tod - Tod. Da wichen die Bauern zurück.
Ich stand unter dem Torbogen des Pariser Hauses, in dem ich wohnte und sah die Straße hinunter.
Ein Haufen Soldaten kam mit geschultertem Gewehr die Straße herunter. Hinter den Soldaten lief eine große Menge Volkes, Mädchen, Männer, Frauen und Kinder. In der Mitte dieses Haufens schwankte und holperte ein hochrädriger Karren, auf dem sechs Menschen saßen.
Der erste, den ich erblickte, war der Doktor Postremo.
Postremo stieg ruhig und langsam die kleine Treppe zum Blutgerüst hinauf. Schmähworte flogen.
Zwei Kerle banden ihn blitzschnell an ein senkrecht stehendes Brett, kippten es um. Sausend pfiff das Fallbeil herab. Etwas sprang in einen Korb. Aus einer riesigen dunkelroten Wunde sprudelte Blut. Die Hand des Henkers griff in den Korb, hob am befleckten, weißen Haupthaar den Kopf hoch empor.
Ich war nach diesem Tage nicht mehr oft auf die Straße gegangen. Nachts hörte ich mehrmals Pochen von Gewehrkolben an den Haustüren.
Die Straßen waren voll von schreienden und teilweise bewaffneten Pöbelhaufen.
"Heraus mit der Lamballe! Die Intendantin wollen wir! Schlagt die Tür ein! " In dem Toben und Drängen der aufs höchste erhitzten Masse, inmitten von geschwungenen Säbeln, Messern und Lanzen stand ich und blickte wie gelähmt auf die Türe. Axthiebe krachten donnernd gegen die kleine, schwere Tür, eine staubige Scheibe splitterte unter den Steinwürfen, worauf sich das Schreien bis zum Wahnsinn verstärkte.
In dem steinernen Rahmen stand leichenblass, hochaufgerichtet, ein verzerrtes Lächeln der Todesangst im schönen Gesichte, die kleinen Hände wie flehend erhoben, eine junge Frau -
"Aglaja!" schrie ich auf.
Aufgeweckt aus tiefem Schlaf durch das Brüllen gereizter Tiere.
Weit taten sich die Augen auf - aus dem hellen Brokat des Mieders ragte plötzlich ein schmieriger, hölzerner Lanzenschaft - Seide riss mit hohem Sausen - - ein kleiner, klagender Schrei - -
Ich stieß und schleuderte Menschen auf Menschen, schmetterte meinen Stock in ein Gesicht, hieb meine Faust in ein schreiendes Maul, erfasste den Griff eines Säbels, schlug zu, dass es spritzte, spie und brüllte lauter als die Tausende - -
Ein dröhnender Hieb traf meinen Kopf.
Ich fiel.
Das Gefängnis, in dem ich mich befand, war ein alter Kohlenkeller.
Ein Kommissar mit mehreren Soldaten holte drei von uns, darunter mich, zur Gerichtssitzung.
Der Richter lehnte sich in seinen Sessel zurück, dass die blau-weiß-rote Binde um seinen Leib sich spannte, nahm wie spielend einen Bogen vom Tisch und sagte mit singender und theatralischer Stimme:
"Bürger Dronte!"
Wieder war mir zumute, als betrachte ich nun ein ganz fremdes Schicksal, dessen weitere Entwicklung mir völlig klar war. Ohne jede Feindseligkeit sah ich den eitlen Menschen an, der sich als Richter über mich gesetzt hatte.
"- Die verhasste Bürgerin Lamballe ist vom heiligen Zorn der Bürger zerschmettert worden. Sie, Bürger Dronte, haben den Versuch gemacht, sich dem Volke, das sein Urteil fällte und vollzog, hindernd in den Weg zu stellen. Welche Absichten verfolgten Sie mit Ihrer Handlungsweise?"
"Ich wollte die wehrlose Frau schützen", sagte ich und sah ihm dabei in die Augen. Er schüttelte unwillig den Kopf
Gemurmel ward laut.
"Sie sind ein Freund der Freiheit?"
Ich überlegte einen Augenblick lang und beantwortete die Frage dann mit einem "Ja".
"Ich weiß, was Sie sagen wollen, Bürger Dronte. In Ihrem Eifer, der Republik zu dienen suchten Sie das Volk mit Gewalt an der Urteilsvollstreckung zu hindern. Ist es so?
Ich fühlte kurz und stark die Lockung, aus dem Schrecken dieser Justiz in die Freiheit zurückzukehren. Aber ein mächtiges, unüberwindliches sieghaftes Gefühl in mir ließ die freundlichen Bilder bevorstehender Freiheit, die sich infolge solcher Möglichkeit dem Geiste zeigten, schnell verblassen. Ich erkannte, wie eine heilige Notwendigkeit, dass ich hart und erbarmungslos gegen mich selbst sein müsse, wenn anders ich nicht zurückgeworfen werden sollte in Ebenen, aus denen ich zu höheren aufgestiegen war und deren Aura ich überwunden hatte.
"Ich habe die Prinzessin auf Grund von Empfindungen persönlicher Art zu retten versucht!"
"Kurz und gut: Sie haben nicht die Absicht gehabt, die Frau als solche zu beschützen, sondern vielmehr der Republik einen Dienst zu erweisen. "
"Ich habe bei meiner Tat nicht an die Republik gedacht!"
Das Gesicht des Vorsitzenden wurde rot vor Zorn.
"Das wagen Sie mir zu sagen?"
"Es ist die Wahrheit", entgegnete ich.
"Bürger Dronte ist schuldig des Verrates gegen die Republik!"
Um acht Uhr rasselte ein dröhnender Trommelwirbel, und die Tür des Kellergefängnisses tat sich auf. Vor einer Schar Soldaten erschien ein Kommissar mit der Schärpe und las hart und gleichgültig Namen auf Namen von einer Liste ab. "Bürger Dronte!"
Wir wurden nun, etwa zwanzig an der Zahl, aus dem Keller geführt, gingen die Treppe hinauf und kamen auf einen Hof, der ganz von Soldaten umstellt war. Ein Junge von etwa fünfzehn Jahren stieg hinter uns auf und band uns mit starken Rebschnüren die Hände auf den Rücken.
Mein nunmehr der Veränderung anheimgestellter Körper tat alles, um die ruhige Heiterkeit des Geistes, der sich zur Ausreise anschickte, zu stören und mit unwichtigen Sorgen von seinem Wege in die Ewigkeit abzulenken. Ein natürliches Bedürfnis, zu dessen Befriedigung keine Zeit mehr gewesen war, stellte sich mit lästiger Qual ein. Ein alter Erkältungsschmerz, der mich lange nicht mehr gepeinigt hatte, war nachts in die rechte Hüfte eingeschossen und bereitete mir bei den Stößen des Wagens große Qualen. Und zu dem allen kam noch die Todesfurcht, die der Leib empfand. Sie äußerte sich in starken Magenschmerzen und brachte es zuletzt dahin, dass von meiner Stirne ein kalter Tropfen über mein Gesicht rann. Kalter Schweiß war es, Todesschweiß...
Aber ich stand über oder neben diesen Empfindungen, die trotz ihrer Stärke doch nicht mehr recht zum Bewusstsein vordringen konnten. Es war eine scharfe und unwiderrufliche Scheidung zwischen Leib und Seele eingetreten.
Es herrschte nur jenes leise, tausendstimmige Murmeln, das die Spannung einer großen Menschenmasse verrät. Ich sah Menschen auf der Plattform erscheinen, sich bewegen. Das Messer fiel mit mattem Klatschen und wurde wieder aufgezogen. Es war rot. Irgend etwas schlug strampelnd und mit hohlem Dröhnen gegen die Bretter des Blutgerüstes.
"Kehre zur Tiefe zurück!" sprach ich vor mich hin.
Ein Soldat ergriff mich fast schüchtern am Arm und schob mich mit sanfter Gewalt vorwärts. Ich sah, wie geronnenes, dickes Blut die Bretter des Gerüsts entlang träge abwärts quoll.
Ich war der nächste, stieg die Treppe hinauf.
Feste Hände packten mich am Arm. Gesichter glitten an mir vorbei. Ich stand am Brett. Warmer Blutgeruch stieg mir kitzelnd und zum Erbrechen reizend in die Nase. Dünne Riemen schlangen sich fesselnd um meinen Oberleib, die Beine. Ich fiel nach vorne - - es knarrte leise um mich, - schmerzend schlug mein Kehlkopf auf ein Halbrund auf.
Ich dachte: Nun wird das Messer schneidend durch den Hals fahren, Sägespäne werden mir die Augen füllen,- - -
Nasses Holz senkte sich auf meinen Nacken.
Ich öffnete den Mund, empfand holzige, trockene Splitter, feuchte Brocken - - -
Dann Nacht - - Sausen - - Geräusch - - ein schmerzhaftes Zerreißen - ein Faden schnellte entzwei - - -