1. Vers
Medea sammelte sich in der Mitte:
Meine Frauen, habt ihr gefunden zum Fest,
zu feiern den Ausgang schwerer Geschichte
der betrogenen Fürstin vom Kaukasus.
Dort, wo Prometheus der Menschen in Ketten
geschmiedet am Fels für gierige Geier,
weil das Feuer im Herd er hat entzündet.
Im Herd der Mutter Medeas brannte es
sühnend und lodernd, in Wehr jedweder Schmach.
-
Versammelte, die gefolgt sind dem Rufen,
grüßen im Singen einander die Mächte.
Schwillt ein weiter Ton über das Tal hinweg,
hebt ein Klang gewaltig über die Köpfe,
staunend lauschen die Singenden ihrem Ton.
Schallt das Gebilde aus dem begeisterten
Kreis; legt in die Ebene die Klangesspur.
"Schön sind wir", so dröhnt es aus allen Mündern.
Weiter Gesang. Fülle bringt Geborgenheit.
-
Warum, ihr Frauen, wird seid tausend Jahren
bewundert die Starke über den Starken?
Weib der Weiber kam aus der Mütter Heimat.
Märchenhaft ist die Fremde, warum aber
nahm einen gewöhnlichen Held sie zum Mann?
Muss ziellos in das Unbekannte folgen,
mir endlich in das Gedächtnis zu brennen:
Was gut macht: Befreien durch das Erobern;
doch was milde macht: Erlösen durch Töten.
-
Wer Verständnis haben will für meinen Feind
kann mein Feind nur sein und ist als Feind verheert.
Benutzt die Ehe etwa nicht uns Weiber?
als Brutkasten - warm und gefälliger Bauch -
brav zu gebären den Vätern die Söhne,
so sollen benutzt sein die Väter durch uns.
Kommt ihr Töchter der Mütter: Helft mir klagen!
Seht die Möndin, war vor Tagen noch Sichel,
und schon bald zur scharfen Sichel wieder wird.
-
Verbündender Protest des wilden Volkes,
das die Kultur im Kultischen beherbergt,
wo Priesterinnen frei sind von Gesetzen,
gewillt und stark sind, um den Raub zu ächten
einer Fürstenkrone, um dessen Willen
man im Korintherland zum großen Aufmarsch
sich sammelt. Und die Straßenkinder brüllen:
Das eigne Fleisch vom Blut zu trennen, so wird
der Hofstaat tief getroffen: Woll'n ihn treffen!
-
Schreitet zu mir, ängstliche Schwestern, lernet!
Die weiße Macht eurer Schenkel gebrauchen!
Wem ist das feige Schlafengehen lieber?
Die kahlen Höhen der Bäume sind Hangar
für Geier, stinkendes Aas zu verschlingen.
Muss allein den Zorn sich zusammennehmen
die verratene Frau, denn ihr Leidvolles
ist Verbrechen. Eine andere Meinung
ist ein Angriff gegen mich, die Medea.
-
Das Tor hängt morsch in den Hespen, den alten,
und lässt sich nicht mehr schließen, nicht mehr öffnen.
War den Weibern nicht der Jahrtausende Fluch,
den Bruder zu töten, die Mutter zu flieh'n?
Befriedigen den Gatten? Die Söhne ihm?
Gebären? Müssen wir ändern die Kehre!
Befreien durch überwinden: Legt sich Kraft
auf unsere stille Brust. So sprach Medea.
Ach wäre doch die Argo nicht so geeilt.
2. Vers
Auf offener See, im Schoße der Meere,
auf endloser Flucht, schlich die Argo, der Kahn.
Es floh eine Taube sich schützend unter
die Takel und Tuche vor den wütenden
Krallen des Adlers, der im Sturz sich bemaß.
Der Beute betrogen, im sich'ren Versteck
der Matrosen, die waren dem Greif eine Pein.
Indes unter Deck sucht ein zartes Wesen
den Schutz. Zu schwach war die kräftige Mannschaft.
-
Tochter von Kolchis gewann zwischen ihren
geöffneten Schenkeln ein Kind, ihren Sohn.
Der erste Schrei war kein Schrei, ein zaghaftes
Regen, versteckt vom weiten grausamen Meer.
Keiner der Männer wusste der Stunde Pflicht:
Nur ein hilfloser Maat hielt ein sauberes
Leinen, allzu schwer ist der Hebammendienst.
Die mutigen Krieger verstummten an Deck,
was ist die Geschichte ohne Geheimnis?
-
Ein einziges Mal lacht der gewöhnliche
Mensch unschuldig selbst, wenn dem Mutterleib er
zur Welt sich meldet, wenn auch die Kreißende
von Lachen und Schreien nicht unterscheidet.
Diesem zarten neuen Geschöpf im Arme
der Mutter erstarrte der lachende Schrei:
Eilendes Schiff statt einer Wiege zu Haus.
Gerettete Taube, Bote der Heimkehr,
weissagt ein Hoffen auf günstige Winde.
-
Es musst' der Adler ein neues Opfer sich
suchen für seine hungrige Brut daheim.
Einen weiten Weg hat er, dem Sieger gleich,
doch hat er ein geborgenes Nest im Fels.
Sicher der Horst, gleich wie gierig das Küken.
Wer aber schützt hier das wehrlose Leibchen,
dass die fliehende Mutter gebar in der
dunklen Kajüte der schwankenden Argo,
geschaukelt von den Winden der großen See.
-
Erste Stunde am Licht und schon auf der Flucht,
ein Sohn von Königskindern, Kind ohne Heim,
goldene Wiege auf wackligen Planken.
Schweißt die fremden Gestalten der Geschlechter:
Vater und Mutter für alle Zeit verfolgt
von der Zärtlichkeit der erlebten Geburt.
Dem Gift der Welt noch unberührt ward der Sohn
sicher getragen von liebender Kraft
der Vereinten. Ahnungslos diese Stunde.
-
Bald schon wird das uralte Wissen mahnen,
dass auch dieses Manneskind eines Tages
eine Rüstung tragen wird, die dann durchbohrt
von einem scharfen Schwert, der Helm zertrümmert,
der Schädel gespalten, wenn ausbrechen wird
ein neuer Krieg zwischen Völkern und Sippen,
kaum dass dem Mutterschutz er ist entwachsen.
Keine Ruhe vergönnt um des Kindes Blut,
wie wenig kümmert das eigne Verderben?
-
In ewiger Hoffnung lebt der Hoffende
weiter im Glück der Vermischung. Gewaltig
packt eine starke Hand die Lanze, streckt sich
und versucht sich unbeholfen aus dem Netz.
Wie lästig sind diese Taue der Liebe?
Wir können die Kinder nicht unterweisen
und lehren können wir Besseres niemals.
Wer will die Weihe erahnen? Denn so hart
macht die Ungewissheit das Weiterleben?
-
Erscholl aus dem leisesten Schlaf ohne Grund
ein bitteres Angstschreien weit in die Nacht;
schlaftrunkend der Wächter stürzte an ´s Bettchen,
ergriff eine winzige, bebende Hand,
die sogleich den friedlichen Schlaf wieder fand.
Fragende Tröster suchten triefend den Grund
der schreienden Angst, die leise sich fügte,
sobald ein Schutz in die Nähe sich brachte.
Ach wäre doch die Argo nicht so geeilt.
3. Vers
Spricht also Medea: Die Ihr versammelt,
feiert die Zeugen einer bitteren Schmach,
ehret der Frauen mächtevolles Können,
zu mehren die Zahl der wildesten Krieger.
Wie wirklich sind Gedanken? Suchet die Schuld!
Vertrauen wir dem Verständnis der Frauen,
Gnade ist ein übler Trick, der nie gelingt.
Schwer ist es, dass der Abend mit jedem Tag
unsre Helligkeit vergiften will und muss.
-
Greift die Tamburine, schlagt leicht in den Takt;
sind wir nicht zertrümmert, können zertrümmern.
Das zweckvolle Trommeln: Dieses Wirbeln soll
überwinden der Mutter den alten Schmerz,
und trommelt das Ineinander-Verschmelzen
das zwangvolle Ducken und Binden hinweg.
Drohendes Tanzen zum eigenen Blutrausch.
Ihr dürft eure Trauer nicht überwinden,
wär' es Verrat. Meine Geschichte hört an!
-
Zwei Flüchtende über die unstete See
versprachen beide, den Sarg uns zu tragen,
der dann begossen wird mit heißen Tränen.
Erhabener Eid, der nun zu beklagen.
Wer sich nur schützen will, schützt sein Vergessen;
wer sich versteckt, kommt nicht zurück aus der Schlacht.
Wer neidet der Wölfin das raue Leben?
Das heisere Streifen, das warme Heulen:
Pfeift der eisige Wind so frohe Lieder?
-
Euch Frauen rufe ich: Kommt herbei und schaut!
Wenn Jason sich auch versteckt, seine Sklaven
steh´n versammelt vor ihm, die Hände zu seh´n,
ob sie befleckt sind, die Klauen des Geilen.
Wer will mit ihm hängen? Wer will behaupten,
dass er mühelos abwusch verlorenes
Jungfernblut? Hält noch immer ihm Vertrauen?
Zeig ich mein Weiß euch, urteilt nun und weinet!
Beschwert von Schuld muss der Zeuge sich grämen .
-
Darf ein Mann verleugnen die eigene Kraft,
in sanfte Priesterschaft sich heimlich lullen?
Darf eine Weihe schenken, wer schon entwuchs
dem träumerischen Gemüt kindlicher Zeit?
Das Lächeln muss ich verbeißen. Gegenteil
von vernünftiger Tat muss Verbrechen sein.
Zur Hure wird das Weib, das Jason noch grüßt;
verboten, verwehrt wird ihr die nackte Hand.
So unendliche Phantasie hat mein Zorn.
-
Der Freier machte sich schuldig schon, als er
nicht schwor mir den endlosen Dienst, noch bevor
er versprach die eheliche Verbindung.
Weder schwor unteilbar ewig die Treue,
noch schwor er unteilbar ewige Liebe -
Sah ich nicht den Beginn? Wem schenkt die Löwin
die Unterwerfung, die eigene Schande?
Wem nur? Verlange ich doch zurecht dafür
ein Gegengut: die Verehrung. So wenig.
-
Es muss doch auf der Erden Fläche jemand
geboren sein, der es vermag, die Herrin
ehrlich zu nehmen und glücklich zu machen?
Der kleine Held war nicht der Auserwählte,
doch erfrechte Jason sich meiner Liebe,
meine Heimat sich einzutauschen, wie schnell
soll die Strafe ihn treffen? Wer Buße tun?
Zwingt erst den Sohn die vererbte Verpflichtung?
Einäschern, einfrieren sein kluges Streben?
-
Weise beschränkte ich früh des Kindes Geist:
Der Blöde ist friedvoll! Der Einfältige
fügt keine Gewalt hohen Sinnesgluten.
Das besänftigt als Sühne den Mutterschmerz.
Es könnte dem Kind - später zum Mann gereift -
auch so ergehen, ich darf es nicht lassen.
Befreit ihn von jeglicher Schuld doch nur eins:
heilig der frühe Tod. So sprach Medea.
Ach wäre doch die Argo nicht so geeilt.
4. Vers
Wer kennt nicht von euch den Sohn der Medea?
Wer kennt nicht Hitze voller Erhabenheit,
unglaublich strömt aus dem eigenen dorthin,
wo das Neugeborene in den Armen
eines Menschen ruht, fällt alles Harte ab
vom Zeuger, strömt große Wärme hinüber,
monogame Liebe, die der Geliebten
allein nur galt, fährt nun zu dieser Gabe
göttlicher Niederkunft. Aus eigenem Mark.
-
Soeben noch im heiligen Mutterleib
geborgen, geschützt. Nur durch einen Moment
bar gleich jeglicher Schanze, wehrloses Kind.
Wo ist der neue Schutz? Wo die neue Wacht?
Wie kann ein Krieger hier wehren? Not bringt Tat:
Das schwere Schild wird zur lieblichen Wiege!
Kraftvoller Arm um den unfertigen Leib,
um das zarte Stöhnen im friedlichen Schlaf.
Augenblick der Treue; schnell entschwindet sie.
-
Wächst und entfremdet seine schlanke Gestalt,
schmal sind die Schultern ihm noch. Ohne Blende
flieht träumend in das Ungewisse sein Blick.
Nicht den Horizont meinen seine Augen:
das was dahinter liegt, weit in der Ferne,
dort wo die Unschuld in Geborgenheit ruht.
Noch ohne Worte sind seine Gedanken,
noch ohne Farben die geträumten Bilder.
Schwärmend vergehen unzählige Tage.
-
Wach auf Heranwachsender, verhangen in
vergessenen Kindheitsträumen, du wach auf!
Sohn starker Menschen, schöner Geister, willst du
mit Blödheit dein Mannesalter peinigen?
Doch veröden die Rufe im milden Raum,
verebben an der kindlichen Einsamkeit,
Wiegt seine schläfrige Jugend ungeschützt
im lauen Wind; erst die Toten bleiben jung,
ungeahnt von ihm der Welten Fallsüchte.
-
Entzündet Zorn einen Brand, war die Mutter
jemals sicher vor nahendem Krieg, wie schnell
zieht der eben noch Spielende an die Front,
liegt er zerschunden im Feld? Oder wird er
heimtückisch von einem versteckten Messer,
in eine getarnte Grube, mit einem
heimlichen Sprengsatz wach- und fortgerissen?
Oder wird er am Ende selbst zum Schleicher,
eine todbringende Waffe im Mantel?
-
Die Idee wird fanatisch, wenn sie entbrannt.
Verheerung durch den Schmerz macht das Attentat
zur Befreiung: die Verzerrung der Schönheit.
Ein Held kriegt den Jubel, doch keine Trauer.
Ging träumend sein Gesicht unter in Tränen,
nicht wissend, warum versank er im Weinkrampf?
Stand Jason dabei, erschrak in der Stille,
dass er umarmte in Schwermut den Knaben,
die Tränenflüsse vereint aus vier Augen.
-
Woher nähme je etwas Unschuldiges
ein Begehren, oben nach Schuld zu suchen:
Drängender Auftrag, nach Zwietracht zu forschen,
fort gehende Teile des Vergänglichen.
Der Friede wird immer ferner, und fremder
wird sein Geruch, seine Stimme verstummt schon.
Die Schritte verhallen in der Einsamkeit
des Knaben, Spiegelbild seines Erzeugers.
Das Blut an die lockende Jugend verkauft.
-
In Dunkelheit geborgen schleicht sich der Sohn
in die herrschende Nacht. Das Verlassensein
verbirgt sie durch die eigene Finsternis,
schützt vor den grausamen Tagen, die gekämpft
um Einsamkeit sind. Großzügig die Sterne
begrenzen die Unendlichkeit der Werte,
freie Gedanken. Bis es ihm bange wird,
die Mutter könnte sein Stehlen ins Off'ne
bemerken, ihn darauf strafen mit Entzug.
-
Furchtbares Grauen, das Missen zu ahnen
mütterliches Buhlen. Und leise zurück
schleicht suchend im Dunkeln die zarte Gestalt.
Im Kreidekreis das unentschlossene Kind
gesperrt zwischen Amme und Leibesmutter,
gleich dem Gemetzel von Schöpfer und Hüter.
Bleiben doch zwei, Zeuger und Gebehrende,
im ewigen Rätsel verbunden, heilig
bis in den Tod. Nur er kann lösen das Band.
-
Dem Jason entrissen, fort männliche Sucht.
Die Mutter hält fest und der Abend erfüllt
sich in Wärme, die Nacht im festen Versteck.
Wie demütig drückt ihn die Bewunderung,
gehörte Vorwürfe, die der Tag verschlang,
in eigene Worte willig zu pressen.
Die Angst davor, den Verlust zu verdoppeln,
wird schnell eine Klage zur Nähe gemacht,
unbefragt nachgeahmt: Wie frei ist ein Kind?
-
Die Sinne ziehen einsam in die Weite,
selbstvergessen, wie gleicht er schon den Alten,
wird es ihm zum rächenden Urteil werden.
Ist Einfältigkeit Plan friedvoller Mütter?
Segen ihrer Söhne? Schutz für die Wachsenden?
Oh, wär' es gegeben. Doch welcher Starke
sucht sich nicht Gleiches, um sich zu erhöhen?
Meidet die lullende Schwäche des Friedens.
Ach wäre doch die Argo nicht so geeilt.
5. Vers
Erhebt Medea ihre Klageworte,
und im Rausch von Licht, der ihre Stirn erhellt,
wendet ihr Wort sie an den Chor der Frauen:
Womit lebendig wohl hält man die Liebe
als mit entblößtem Leib - die Knechtschaft gegen
einen blassen Mann - es schlägt das Wort zurück.
Schuldig macht das Weib sich in der Niederkunft,
stößt ein Kindlein in die Grausamkeit der Welt:
Abscheulicher Gedanke der Zärtlichkeit.
-
Dass der Mann sich aber schuldig macht bereits,
wenn eine Frau er führt über die Schwelle,
und schuldig bleibt, ewig die Pflicht ihn bindet,
als Strafe seinem Weibe abzudienen.
Nichts ist, was vom Vertrag ihn freikaufen darf.
Achten wir siegend auf diesen Richterspruch,
so wie einst die herrschenden Ahnenmütter.
Unser Wissen von der Erblast des Blutes!
Angst haben die Herren von Kreon davor.
-
Für eine Weinende ist unerträglich
das Geschrei der Sonne; dass der Mann verrät
das Eheweib und schlendert hin zur nächsten,
lausige Schwäche erniedrigt ihn und mich.
Dass dieser schwache Mann mich hat genommen,
dass meine Kraft ich ihm gegeben als Weib,
kein Verzeihen ist jemals erlaubt. Es könnt'
keine Frau je wagen, sich zu entziehen
dem starkem Weiberbund: Fluch sei über ihn!
-
Ist mein Belastungszeuge das fremde Bett,
glaubet dem Zeugen, dem befleckten Laken.
Furchtbares Schicksal erwählt jedes neue
Nachtlager dieses verworfenen Mannes!
Klebt am Sündigen der Gestank von Huren.
Ergreift leiser Ansatz von harten Zügen
den Mund mir, verrät die Faust, die das Unrecht
nicht zu ertragen vermag. Doch welches Recht
ist nicht Unrecht sogleich für den anderen?
-
Mein Recht ist das meine; anderes Unrecht
ist deres der anderen; zu betrachten
durch die offenen Augen! Wer aber wagt
zu begaffen die Hohe mit frechem Blick?
Befreien von dem Joch der Gattinnenschaft,
wie heißt es überwinden? Das Attentat
ist ein Ausdruck nur der Hoffnungslosigkeit.
Keinem Weibe werd' ich gestatten, zugleich
den Verräter und seine Kinder zu seh´n.
-
Seine Kinder werd ich bewahren müssen
vor solchem mit aller Kraft, allen Mitteln.
Strafen wir also die sündigen Väter,
indem wir verweigern werden den Söhnen
das Wachsen und Streben, dass nie erfahren
sie sollen und also ungestraft bleiben.
Stimme der Endzeit. Keiner wird mich hindern.
Wer will riesig sich stellen? Jason ist weit
und ohnmächtig. Möndin, du kalte Herrin.
-
Lieber will ich im Schützengraben beugen
mich feindlichen Waffen, als nur noch einmal
gebären müssen. Frucht vom Samenerguss.
Noch ist mein Kind kein Mann und darf es nimmer
werden, dass, dem Jason gleich, die rohe Kraft
in seinen Adern beginnen, schließlich dann
sich in geöffnete Schenkel legen will.
Helfender Schmerz, dass er nicht sündig werde,
will ich die Abwehr an ihm begehen.
-
Dass er Opfer wird, ist Schutz vor der Straftat,
und ist dem Griechen ein gieriges Schafott.
An ihm vollzogen wird der Zorn, zu rächen
mich für die Schmach, entfernt von meiner Mutter
im Reiche des Kindervaters entwurzelt.
Die Tat, aus Liebe gemordet zu haben
den Bruder, doch währte das furchtbare Pfand
für diese Blutschuld meinem Mann nicht ewig,
sondern nur für eine Frist seiner Geilheit.
-
Verrat ist, wenn Blut nicht mit Unendlichkeit
abgezahlt wird, oder dann mit neuem Blut.
Wer kämpft für das Recht der Mütter der Erde,
hat für alle Zeit vom Unrecht sich entfernt.
Brauchen keinen Konsens des Nicht-Bekennens:
Kann freier Wille oder Notwendigkeit
helfen, wenn es wütet, das Brandereignis?
Nichts lässt sich so gnadenlos, willig drücken,
wie diese Schwäche der eigenen Kinder.
-
Leckt Heimtücke mich, des Gegners frecher Blick,
hat das Geschehen das Schlachten befohlen
durch Jasons Ehebruch - kommt es ihm schlimmer,
als ihn noch selbst auf die Schlachtbank zu ziehen,
wird ihn erschrecken, wenn der eigene Sohn
gezerrt auf den Block, geteilt vom Metzgerbeil.
Des Schwures Bruch war Mord genug, ist Genüge
für den zweiten Mord am Erbe des Brechers,
am Samen des Schuldigen - ich nenne ihn.
-
Für einen heißen Plan braucht es kaltes Blut.
Noch ist das Messer, seht her, sauber und scharf.
Geronnenes Rot wird bald kleben, seht her,
an weißen Händen mir. So sprach Medea.
Geteilt ist der Kreis der hörenden Frauen.
Es kreischen Mütter vor Schauer und Schrecken
und flehen weinend, lasst ab, besinnet euch.
Es kreischen auch andere, die rufen: ja.
Ach wäre doch die Argo nicht so geeilt.
6. Vers
Das Schrecken ist nur im Spiegel ertragbar.
Das Gras verdorrt und findet keinen Schatten,
stöhnt müde unter der brennenden Sonne,
da legt sich der Knabe hinein in das Gras,
so gibt der schmale Körper des Liegenden
seinen Schatten hin den einzigen Freunden.
Welch harmloses Wandeln, grundloses Schwärmen?
Banges Ahnen von denen, die dann später
um eine vollbrachte Tat wissen werden.
-
Wer möchte schuld an dieser Sünde sein.
Das Kind, verwahrlost träumend, anzusehen,
so sehr sich klammernd. Als Betrachter nie mehr
aufzuwachen aus wehmütigen Nebeln.
Und steht doch bereits gepeilt im Fadenkreuz.
Es möchte, wer die Last der Verantwortung
nicht tragen könnte, sich in das tödliche
Wasser fallen lassen, von schnellen Fluten
hinuntergezogen in den müden Tod.
-
Muss er von Erlösung schwärmen durch freien
Mord, den eignen Leib vernichten, freies
Geständnis, niemand hört es in der Tiefe:
"Ich verging mich einst an seiner Kinderzeit,
in den Wachschlaf zu kerkern, ohne die Flucht"
Königssohn geboren, an den Bettelstab
geknebelt, im Verließ von Obdachlosen
abgestellt, gleich ob vor dem leeren Brotkorb,
gleich ob am üppigen Fleischtopf zu darben.
-
Fehlt die schützende Hand, zielloses Irren!
Müssen die Schuldigen, wenn sie zu sehen
beginnen, in das Herz sich schreiend greifen
und verzweifeln. Wer möchte es sein, der nicht
vom Turm sich stürzen müsste? Den Körper, um
zu sühnen, zerbersten lässt auf hartem Stein,
blutrotes Fleisch bedeckt den Widerstand der
Erde. Wer ist es, teilt dem Griechen diesen
grauenhaften Anblick seiner verwesten
-
Kinderseelen, wer will so dumm sein? Wer so
todeswütig? Auf einer uferlosen
See taumelt mit zerbrochenem Mast der Kahn
des Jungen; Wasser über Horizonte.
Nur Wind pfeift im wandelnden Klang über die
Reling des ruderlosen Wracks. Nur der Stumpf,
der einmal ein stolzer Segelhalter war,
prangt splitterreich empor, und kein Sextant, kein
Kartenbuch, wozu denn noch? umsonst gefragt.
-
Zuflucht im Schutze der Mutter zu suchen,
verlangt das ängstliche Küken der Schwalbe
wie auch des Adlers hungrige Brut im Nest.
Medea schleift ihrer Kinder Vertrauen
an die Treppen des Tempels der Jungfrauen
zu dem der Zutritt verweigert den Müttern.
Ein Tempel ist jedem Kind die eigene
Mutter, gleich welch' Plan sich ihrer bemächtigt,
zu hüten oder zu missbrauchen den Bund.
-
Wird das Kind zum Werkzeug und weiß darum nicht
und muss dessen leiden, weinen hilft nicht mehr.
Gemeinsamkeiten mit der Mutter brechen,
in fröhlicher Befreiung überwinden
den Schmerz ihr: in den roten Fluss zu schütten.
Was zögert die Entschlossene bedenkend?
Was wirft sie in die Waage, will sie rechnen?
Wärmt der Zweifel noch das Herz ihr in der Brust,
dass kaltes Eisen zu kalt ist für den Schnitt.
-
Im heißen Mittag vor den großen Hallen,
auf den Stufen verbietet seine Mutter
dem Ahnungsschwangeren den Blick zu heben.
Ein kurzer Sonnenstrahl erfasst das Messer,
blinkend und leuchtend, blendet es die beiden
wie ein Schrei, bevor es die Adern öffnen,
das Blut in die Freiheit entlassen möchte.
Was will sie tun? Morden ihr eigenes Fleisch.
Der Wahnsinn wird Sieger, küsst noch den Hals ihm.
-
Die Stelle markierend ... Kreischendes Ziehen:
Der Schnitt ... Aus der Kehle schießt die Fontäne.
Der Lebenssaft befleckt die Umschlungenen.
Rot und warm färbt er leise Mutter und Sohn.
Schwankend wird der Kinderleib. Auf die Treppe,
von dunkler Röte bedeckt, sinkt er nieder.
Auf dem verschmierten, geschändeten Marmor
ein kraftloser Körper nach unten gleitet.
Ach wäre doch die Argo nicht so geeilt.