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Ein Puppenspiel in zwei Kulissen von Rainer Nowotny

Personen:
Stimme aus dem Hinterhalt
Mann
Polizist
Drächin
Prinzessin



1. und 2. Kulisse haben gleichen Grundriss. Während der gesamten Handlung zur 2. Kulisse kann sich diese ständig verändern, so dass am Schluss die 2. Kulisse völlig entstellt ist.

1. Kulisse: <Zimmer eines Junggesellen mit Bett; Mann allein >

 

Mann: Die Dunkelheit sagt mir, dass ich müde bin. Der Traum nötigt meinen Schlaf, dem Wachen will ich Abschied sagen, die Glieder von mir strecken, dass alles Tun sein Ende findet.
Stimme: He, he, nicht schon das Ende rufen, wo kein Anfang nicht war.
Mann: Ach, träum' ich erst, so darf die Zeit auch rückwärts laufen; so wird sich das, was ich vergaß, noch fügen. Der Anfang mag dann kommen.
Stimme: Ohne Anfang ist aber keine Zeit, gleich ob sie vor oder zurück sich drehen will.
Mann: Gut, so will ich vor dem Schlafen noch beginnen. ? Wie ? sag an ? soll man den Anfang finden, wenn er im Dunkel schläft. Die Schöpfung muss das Licht erst schöpfen, welches sie erhellen könnte. Jetzt ist es dunkel.
 
<es klingelt>
Stimme: <erschrocken> Mein Gott, der Anfang her, der Anfang hin; wir sind längst schon mittendrin. <verschwindet>
Polizist: <tritt ein> Was war das für ein Poltern? Der brave Bürger fordert seine Ruhe.
Mann: Welches Poltern?
Polizist: Ich schlief im trauten Frieden, da hörte ich ein schreckliches Getöse, woraufhin mich die Pflicht rief. Sie rief: Erwache. Ich erwachte und lief hierher. Was geht hier vor?
Mann: Sie haben geträumt.
Polizist: Was ich gehört habe, habe ich gehört. Der Schlaf ist kein Alibi.
Mann: Ich bin nicht mehr der Jüngste.
Polizist: Ich bin noch nicht zu alt.
Mann: Was wollen Sie noch?
Polizist: Ich will, <drohend> dass mich die Pflicht nicht noch einmal rufen muss. Jedoch, <zögernd> wenn sie eines Tages mich nicht mehr ruft, dann wär' ich wohl zu alt?
Mann: Also soll Sie die Pflicht doch rufen?
Polizist: Papperlapapp. <ab>
Mann: Nicht genug, dass ich Nacht für Nacht einsam und alleine friste, man gönnt mir keine Ruhe. Ich will die Ruhe jetzt festhalten.
Stimme: Wenn aber jetzt ein Poltern kommt, was macht die Ruhe dann? Geht die Ruhe, wenn das Poltern schon da ist, oder kommt das Poltern erst, wenn die Ruhe schon weggegangen?
Mann: Ich rette mich besser in einen Traum. Die Dunkelheit sagt mir, dass ich müde bin.



 

2. Kulisse Drachenhöhle <Drächin, Prinzessin>

 

Prinzessin: Er wird auf einem weißen Ross reiten. Der Vollmond wird leuchten...
Drächin: <überlegt> Heute ist Vollmond. <energisch> Er kann niemals kommen. Der Fels ist zu hoch, längs des Weges lauert überall der Tod, die Tore sind verschlossen. Er kann nicht her.
Prinzessin: Er wird mich rufen: "Prinzessin, wo seid ihr?" "Hier, kommt!" Alle Gefahren wird er meistern, den Tod besiegen, Berge öffnen, Löwen und Tiger verjagen.
Drächin: Er soll mir nur kommen, ich werde ihn vernaschen.
Prinzessin: Mein Ritter, mein Prinz.
Drächin: Knackig.
Prinzessin: Er wird mich befreien und mich dann freien.
Drächin: Jungfrau hin, Jungfrau her, vernaschen werde ich ihn.
Prinzessin: Seine Liebe zu mir wird ihn führen, er wird siegen.
Drächin: Ja, er wird kommen, um zu siegen. Ich werde ihn so vernaschen, dass er denkt, er sei Sieger, das heißt dann Kunst der Liebe, nichts anderes.
Prinzessin: Untier.
  <längeres Schweigen>
Drächin: Warum bist du eigentlich Jungfrau?
Prinzessin: Weil ich auf meinen Prinzen warte.
Drächin: Weil du auf den Prinzen wartest? Hilfe, ich warte, glaube ich, auch. Und sogar genau so lange wie du, aber Jungfrau?
Prinzessin: Aber warten ist langweilig.
Drächin: Nichts passiert. Nichts.
  <Das Bett aus dem Zimmer wird sichtbar. Der schlafende Mann erwacht.>
Drächin: Was suchst du hier?
Mann: Ich suche den Grund warum ich hier bin.
Prinzessin: Ich träume.
Mann: Ich glaube ich. Oder besser: ich träume, dass du träumst.
Prinzessin: Ich hoffe, du bist kein Prinz.
Mann: Was suche ich eigentlich in einer Drachenhöhle? Es wird besser sein, ich wache auf. Andererseits kann man im Traum nicht an Erwachen denken, sonst wäre es kein Traum. Folglich träume ich nicht und kann auch nicht erwachen.
Drächin: Du dürftest eigentlich nicht hergekommen sein, folglich dürftest du auch nicht hier sein; was aber bist du, der du nicht hier bist: ein Traum?
Prinzessin: Ich will, dass ein Ritter kommt, der jung ist und schön und ...
Drächin: <zur Prinzessin> Hier kann niemand herkommen, außer dass ich ihn hierher bringe. <zum Mann> Du aber bist hier, ohne dass du kamst, wie geht das an?
Mann: Wenn sich der Raum von Orten krümmen wollte, so könnte man mich zeitgleich in meinem Zimmer und in dieser Höhle finden.
Drächin: Die Krümmung des Raumes ist ein Sinnesschwindel, da, aber nicht wahr. Sieh dich an, du glaubst dich aufrecht stehen, doch stehst du da vor mir gebückt.
Mann: Ich wußt' mich wohl in meinem Bett und sah mich doch in dieser Unterwelt im selben Augenblicke noch.
Drächin: Ein Narr, der Raum bleibt Untertan des, der ihn ertastet. Die Zeit sie ist das Ungeheuer, der stärkste Arm vermag sie nicht zu fassen.
Mann: Doch hier ist irgendwie ein Paradox; da muß die Zeit gesprungen sein. Sprang sie nach vorn, so fehlte ein Stück Gegenwart; sprang sie zurück, so wird ein Stück vom Jetzt gleich zwiefach ausgeführt. Jedenfalls bin ich hier.
Prinzessin: Dann hat dir ein Zauberer geholfen, oder eine Fee.
Drächin: Eine Fee? Mit dem da? Was war denn das für eine Fee, mit dem da.
Mann: <hebt ein Schwert auf> Ein Schwert.
Drächin: Ein Schwert? Bist du etwa wirklich ein Recke?
Mann: Ich habe ein Schwert. <probiert mit dem Schwert>
Drächin: Was ist eigentlich schlimmer: Von solch einem besiegt zu werden, oder solch einen zu besiegen?
Prinzessin: <zur Drächin> He, du wolltest ihn doch vernaschen.
Drächin: <zur Prinzessin> Du hast mir versprochen, es kommt ein junger, schöner Recke.
Prinzessin: Schließlich ist er der einzige Mann seit ewig.
Drächin: Was soll ich mit so einem machen?
Prinzessin: Wäre er kein Prinz, wäre er auch nicht gekommen.
Mann: <immer noch in sein Schwert versunken> Wäre es ein Zauberschwert, würde es von selbst kämpfen.
Drächin: Ein Zauberschwert?
Mann: Es ist bestimmt ein Zauberschwert. <schlägt mit dem Schwert in die Luft>
Drächin: Nein, und so etwas mir in meiner Höhle.
Mann: Was macht man mit einem Zauberschwert? Ich könnte zum Beispiel eine Prinzessin aus einer Drachenhöhle befreien.
Prinzessin: Das hast du doch schon getan. Nun mach schon und nimm mich mit! Du hast doch hoffentlich ein Schloss?
Drächin: Einfach abhauen? Ohne Kampf verlässt kein Recke diese Höhle, so wie keiner hier ohne Kampf hinein kommt. <zu sich> Ach verflucht, irgend etwas stimmt hier nicht; weder dass er kämpfte, nichtmal dass er kam. <verzweifelt>
Prinzessin: Du bist weder jung, noch stark, noch schön, aber du hast mich befreit, also hol' mich hier endlich raus.
Mann: Das ist mein Zauberschwert.
Drächin:
Soll mein Zorn an dieser finst'ren Stell
wallen wie des Feuers heiße Brunst
mag der Donner sprengen Felsen und Geröll
hinab verwüsten alle Orte meiner Gunst.
<verschwindet unter großem Lärm>
<es klingelt><Polizist tritt auf>
Polizist: Träum ich oder wach ich? Hier war doch g'rad ein lautes Poltern.
Mann: Noch einmal dieses Paradox. Er ist jetzt hier, ohne dass er kam. Jedoch erschaffen konnte er nicht werden, denn ich sah ihn früher schon. Hier ist ein Loch im Fluss der Welt.
Polizist: <zur Prinzessin> Wer bist du? Hast du eine Aufenthaltsgenehmigung?
Prinzessin: Ich wurde gerade befreit, und jetzt werde ich gefreit. Ist das nun freudig oder traurig?
Mann: Das Zauberschwert ist die Ursache.
Polizist: Eine Waffe? Haben sie einen Waffenschein? Die Waffe ist beschlagnahmt. <greift nach dem Schwert> Ich vertrete hier die Macht.
Prinzessin: <zum Mann> Was will der hier?
Mann: Die Macht vertreten? Was willst du?
Polizist: Ich? Ja, was will ich eigentlich? Ich will ... <überlegt> Eigentlich möchte ich ein Held sein; eine Prinzessin von einem feuerspeienden Drachen befreien.
Prinzessin: Mein Herr, du bist zu spät. Im übrigen siehst du ebenfalls nicht aus wie mein Traumprinz, aber damit muss man scheinbar leben ? <trauert> Schicksal mein.
Polizist: <fuchtelt mit dem Schwert> Hoch zu Ross würde ich kommen, den Drachen besiegen und die jungfräuliche Prinzessin befreien.
Prinzessin: Mein Herr, du bist zu spät. Dieser da kam zwar nicht, aber er war zuerst da.
Polizist: <blickt sich um> Dass ich mich in einer Drachenhöhle finde, obschon ich im Rayon sein müsste, wo ich Wachtmann bin.
Mann: Der Raum treibt seine Spiele.
Polizist: Der Raum ist mein Rayon, so steht's in meinem Dienstplan drin. Jedoch die Zeit, sie ist das Ungeheuer. Die Zeit, sie beugt sich weder Schwert noch sonst einer Gewalt; kein Mittel ist, sie zu bedrängen, sich auch nur vor ihr zu schützen, nichts. Die Zeit wird drum gefürchtet von jeder Art von Macht.
Mann: Die Zeit, sie ist sein Grusel, keine Revolution fürchtet er mehr, als nur das, was immer ist, die Zeit.
Polizist: Nimm das Schwert zurück, es taugt als Waffe gar zu wenig. <lässt das Schwert fallen, ab>
Prinzessin:
Was ist das für ein Kauz, wo will er hin? <zum Mann> He, sag doch, woher kennst du den? <in die gleiche Richtung wie der Polizist ab>
<Drächin kommt aus einer anderen Richtung, Mann sieht entgeistert allem zu>
Drächin: Ich habe einen Entschluss gefasst, einen Entschluss, der endgültig eine Lösung dieser Wirren stiftet. Hört! <sieht sich um, verwundert, zum Mann> Wo ist der Rest? Was soll denn das nun wieder heißen. Mein Entschluss betrifft auch noch den Rest, der eben doch noch hier. Du bist allein, was soll mir das? Ein Teilentschluss ist so gut wie kein Entschluss, drum auch nichts wert. Ersann umsonst ein Ende mir, mein schönes Ende war so gut durchdacht, umsonst. Kein Ende, mein Entschluss, und wo kein Ende ist, da muss es weiter gehen. <zum Mann> Geh! Geh, ich brauche Ruh.
Mann: Mir ist es so, als sei ich hier und noch woanders. Doch bin ich immer, das ist mir wohl klar, doch in mir selbst nur drin; und niemals anderenorts, als stets in dem Kadaver hier. Was außen vorgeht, scheint mir zweifelhaft; abwesend mir auch ohne Droge, gleich ob vom Wein, vom Opium oder, was viel schlimmer noch entgeistert für die Außenwelt, von der Blinde des verliebten Seins. <verschwindet im Schwarz>
<Prinzessin tritt auf, blickt sich um>
Prinzessin: Wo ist mein Freier? Wo ist mein Prinz? Ich bin zwar befreit, doch immer noch Jungfrau. <rennt hin und her>
<Polizist tritt auf>
Polizist: Wo nicht Recht und Ordnung waltet, da strebt Struktur sich aufzulösen; drum will ich hier ein Rechtes wieder herrichten.
Drächin: Ich bin hier in dieser Höhle die Gewalt.
Polizist: Gewalt hat nicht der, der es behauptet, sondern der geschickt genug ist, jemanden zu finden, der ihm die Gewalt fürchtet.
Prinzessin: <rennt immer noch suchend hin und her> Mit Gewalt trennte man mich von meinem Prinzen. <ab>
Drächin: Wer wäre gefürchteter als ich? <stellt sich in Pose>
Polizist: Wer Macht ausübt, braucht zuerst ein Gesetz. <sucht> Ein Gesetz.
Drächin: Was ich bestimme, soll geschehen! <Polizist suchend ab> Keiner da? Ein leerer Ort? Was soll ein Ort sein, wo nichts ist. Keiner wüsste ob dieser Ort überhaupt da sei.
<Mann erscheint aus dem Schwarz>
Drächin: <zum Mann> Wo warst du?
Mann: Ich war im Heute. Doch jetzt bin ich's scheinbar auch, doch ganz in einer and'ren Art der Zeit.
Drächin: Warst du schon tot?
Mann: Ob ich's wohl jetzt bin.
Drächin: Ein Toter? <ab>
<Prinzessin tritt auf>
Prinzessin: Da bist du ja endlich. Nimm mich endlich mit! <lässt sich fallen>
<Mann verschwindet im Schwarz, Polizist tritt auf>
Polizist: Sie liegt danieder. Ist sie tot? <beugt sich über sie>
Prinzessin: <schlägt die Augen auf, schreit> Ein Fremder; eine Verwandlung; ein Mord; Hilfe. <ab>
<Drächin tritt auf>
Polizist: <zu sich> Sie lebt.
Drächin: Du lebst, das ist viel.
<Polizist rennt davon; Mann erscheint aus dem Schwarz>
Mann: Ich werde einen Schluss setzen. <nimmt das Schwert>
Drächin: Weh mir, mir wird die eig'ne Höhle finster.
<Mann zeigt mit dem Schwert zur Drächin, diese fällt um, Polizist erscheint, entreißt dem Mann das Schwert>
Polizist: Wenn hier auch kein Gesetz gilt, so gilt doch eine Interessenvertretung eines Gesetzes. Was haben sie getan an dieser Dame?
Mann: Eine Dame?
<Polizist zeigt mit dem Schwert auf den Mann, dieser fällt um, Prinzessin erscheint>
Prinzessin: Du hast meinen Prinzen von mir getrennt. Das musst Du büßen!
Polizist: Ich?
<Prinzessin zeigt mit dem Finger auf den Polizisten, dieser fällt um>
Prinzessin:
Was tat ich? Allein, so muss auch ich scheiden. <fällt um> Schmerz mir. <stirbt>
<Vorhang>