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Parmenides Über das Sein Für die Bearbeitung des Klassikers ansich der europäischen Philosophie zogen wir verschiedene ältere und neuere Übersetzungen (von Friedrich Schleiermacher bis Jaap Mansfeld) heran. Die Bearbeitung sollte die Ursprünglichkeit des Rhythmusses widergeben und natürlich für heutige Zuhörer verständlich sein. Bearbeitet für hoertext.de Die Rosse, die mich fahren, so weit mein Mut erlaubte, gaben mir Geleit, seit sie mich brachten auf der Göttin ruhmvollen Weg, der den wissenden Mann durch alle Städte führt. Auf diesen Weg ließ ich mich tragen, auf diesem fuhren mich die vielverständigen Rosse, den Wagen ziehend mit gewaltiger Kraft. Jungfrauen wiesen den Weg. Die Achse knirschte in den Naben mit hellem Pfeifenton, sich heißlaufend, eilig getrieben zu beiden Seiten von zwei wirbelnden Rädern, als die Heliaden, die Jungfrauen, welche das Haus der Nacht verlassen und nun den Schleier von ihrem Haupte zurückgeschlagen hatten, die Fahrt zum Lichte beeilten. Dort steht das Tor, wo die Bahnen von Nacht und Tag sich scheiden. Türsturz umschließt es und steinerne Schwelle. Himmlisch, ist es ausgefüllt mit großen Türflügeln; die wechselnden Schlüssel verwahrt der Gesetze gewaltige Rächerin. Auf sie nun redeten die Jungfrauen ein mit besänftigendem Wort und überzeugten sie in vernünftiger Weise, dass sie auf diese Bitten den Riegelbalken vom Tor zurückschöbe. Da sprang es auf und öffnete weit den Schlund der Füllung, als sich die erzbeschlagenen Pfosten, die mit Zapfen und Dornen eingefügten, nach einander in ihren Pfannen drehten. Hindurch also durch das Tor lenkten, geradewegs dem Fahrweg nach, die Jungfrauen Wagen und Rosse. Vertrauensvoll empfing mich die Göttin, ergriff ihre Hand meine Rechte, begrüßte sie mich und sprach die folgenden Worte: "Jüngling, der du unsterblichen Wagenlenkerinnen gesellt, der du mit den Rossen, die dich tragen, mein Haus erreicht hast, willkommen! Es ist ja kein böses Geschick, das dich fortgeleitet hat über diesen Weg, um ans Ziel zu gelangen - einen Weg, der weitab vom üblichen Pfad der Menschen liegt -, sondern göttliche Fügung und Recht. So gehört es sich, dass du alles erfährst: einerseits das unerschütterliche Herz der wirklich überzeugenden Wahrheit, andererseits die Wahngedanken der Sterblichen, denen keine wahre Verlässlichkeit innewohnt. Doch wirst du trotzdem auch das erfahren, wie man bei allseitiger Durchforschung annehmen müsste, dass sich jenes Scheinwesen verhalte. Doch von diesem Wege der Forschung halte du deinen Gedanken fern und lass dich nicht durch die vielerfahrene Gewohnheit auf diesen Weg zwingen, deinen Blick den ziellosen, dein Gehör das brausende, deine Zunge walten zu lassen: nein, mit dem Verstande bringe die vielumstrittene Prüfung, die ich dir riet, zur Entscheidung. Es bleibt dir dann nur noch Mut zu dem einen Wege." "Betrachte wie doch das Ferne Deinem Verstande zuverlässig nahe tritt. Denn er wird ja das Seiende nicht aus dem Zusammenhange des Seienden abtrennen, weder so, dass es sich in seinem Gefüge überall gänzlich auflockere, noch so, dass es sich zusammenballe." "Ein Gemeinsames aber ist mir, wo ich auch beginne. Denn dahin werde ich wieder zurückkommen." Wohlan, so will ich verkünden ( du sollst das Wort, nachdem du es gehört hast, weitergeben ), welche Wege der Untersuchung allein denkbar sind: Der erste: dass es ist, unmöglich aber: dass es nicht ist. Das ist die Bahn der Überzeugung, denn sie folgt der Wahrheit. Der zweite, dass es nicht ist und dass dieses Nichtsein notwendig sei. Dies jedoch ist, wie ich dir zeige, ein völlig unerfahrbarer Pfad: denn es ist ausgeschlossen, dass du etwas erkennst, was nicht ist, oder etwas darüber aussagst: denn solches lässt sich nicht durchführen. Denn dass man es denkt, ist schon, dass es ist. Betrachte mit Verständnis das Abwesende als genauso zuverlässig anwesend: denn nicht wird das Verständnis das Seiende vom Seienden abschneiden, von seinem Zusammenhang, wie es sich gehört, weder als ein sich überallhin gänzlich Zerstreuendes noch als ein sich Zusammenballendes. Nötig ist zu sagen und zu denken, dass ein Seiendes ist möglich, Nichtseienden dagegen nicht. Ich fordere dich auf, dieses gelten zu lassen. Es ist dies nämlich der erste Weg der Forschung, vor dem ich Dich warne. Ich halte dich aber auch zurück von dem Weg, den die nichts wissenden Menschen sich bilden, die Doppelköpfigen. Denn Machtlosigkeit lenkt in ihrer Brust den irrenden Verstand; sie treiben dahin, gleichermaßen taub wie blind, verblüfft, Völkerschaften, die nicht zu urteilen verstehen, denen das Sein und Nichtsein als dasselbe und auch wieder nicht als dasselbe gilt und für die es von allem eine sich verkehrende Bahn gibt. Denn niemals kann erzwungen werden, dass ist, was nicht ist. So bleibt nur noch Kunde von Einem Wege, dass das Seiende existiert. Darauf stehen gar viele Merkzeichen; weil ungeboren, ist es auch unvergänglich, ganz, unerschütterlich und nicht zu vollenden; weder war es, noch wird es einmal sein, da es jetzt zugleich ganz ist, eins, zusammengeschlossen. Denn welche Herkunft für es wirst du untersuchen wollen? Wie und woraus wäre es gewachsen? Auch kann ich Dir nicht gestatten, aus dem Nichtseienden auszusprechen oder zu denken. Denn welche Verbindlichkeit könnte es dazu veranlasst haben, vom Nichts anfangend, sich an einem späteren oder früheren Zeitpunkt zu entwickeln? Also ist unumgänglich, dass es entweder ganz und gar ist oder überhaupt nicht. Auch kann ja die Kraft der Überzeugung niemals einräumen, es könne aus Nichtseiendem irgend etwas anderes als eben Nichtseiendes hervorgehen. Deswegen hat die Gerechtigkeit Werden und Untergehen nicht aus ihren Banden freigegeben, sondern sie hält es fest. Die Entscheidung hierüber liegt doch hierin: Entweder ist es, oder es ist nicht; und entschieden worden ist ja, den einen Weg als undenkbar und unsagbar aufzugeben, da er kein wahrer Weg ist, den anderen aber als vorhanden und wirklich zu betrachten. Wie könnte denn Seiendes erst nachher sein, wie könnte es entstehen? Denn weder ist es, wenn es entstanden wäre, noch wenn es künftig einmal sein sollte. Also ist Entstehung ausgelöscht und Zerstörung verschollen. Auch teilbar ist es nicht, da es als Ganzheit ein Gleiches ist. Es ist ja nicht irgendwie an dieser Stelle ein Mehr oder an jener ein Weniger, das es daran hindern könnte, ein Geschlossenes zu sein, sondern es ist als Ganzheit von Seiendem innen erfüllt. Dadurch ist es als Ganzes ein Zusammenhängendes; denn ein Seiendes stößt dicht an anderes Seiendes. Aber unbeweglich liegt es in den Schranken gewaltiger Bande, ohne Anfang, ohne Aufhören, da Entstehung und Zerstörung in weiteste Ferne verschlagen worden sind: verstoßen hat sie die wahre Verlässlichkeit. Als ein Selbiges im Selbigen verharrend und auf sich selbst befindet es sich und verbleibt in dieser Weise fest am selben Ort. Denn die mächtige Unentrinnbarkeit hält es in den Fesseln der Grenze, die es ringsum einschließt; weshalb es nicht erlaubt ist, dass das Seiende unvollendet wäre. Denn es ist nicht in irgendwelcher Hinsicht mangelhaft - wäre es dies, so würde es ihm an Ganzheit mangeln. Denken und des Gedankens Ziel ist ein und dasselbe. Denn nicht ohne das Seiende, bezüglich dessen es als Ausgesagtes Bestand hat, wirst du das Erkennen finden. Denn es gibt sonst nichts und wird auch nichts geben außer dem Seienden, weil das Geschick verfügt hat, dass es unzerstückelt und unveränderlich ist. Darum ist alles leerer Schall, was die Sterblichen angesetzt haben, im Vertrauen darauf es sei wahr: Entstehen und Vergehen, Sein und Nichtsein, den Ort wechseln und die leuchtende Farbe ändern. Aber da eine letzte Grenze vorhanden, ist es allseits vollendet, gleich der Masse einer wohl gerundeten Kugel, vom Zentrum her in alle Richtungen sich gleichermaßen erstreckend. Es darf ja nicht da und dort etwa größer oder schwächer sein. Es gibt nämlich kein Nichtseiendes, das es hindern würde, die Einheitlichkeit zu erreichen, und es ist auch nicht seiend derart, dass es hier mehr oder dort weniger von Seiendem gäbe, weil es als Ganzheit unversehrt ist. Denn sich selbst allseits gleich, begegnet es einheitlich seinen Grenzen. Damit beschließe ich mein verlässliches Reden und Denken über die Wahrheit. Von hier ab lerne die menschlichen Meinungen verstehen, indem du den trügerischen Bau meiner Verse hörst. Sie haben sich nämlich entschieden, zwei Formen zu benennen - von denen eine zu benennen nicht erlaubt -: darin liegt ihr Irren. Sie schieden aber Gestalt gegensätzlich und sonderten ihre Zeichen voneinander: hier der Flamme himmlisches Feuer, das milde, gar leichte, sich selber überall gleiche, dem anderen, aber ungleiche. Dagegen gerade entgegengesetzt die lichtlose Finsternis, ein dichtes und schweres Gebilde. Diese Weltanordnung teile ich Dir, scheinbar wie sie ist, ganz mit; dass nicht irgendwelche menschliche Einsicht dich übertrumpfe. Nachdem alles als Licht und Nacht benannt und nach ihrem Vermögen diesem und jenem Einzelnen zugeteilt wurde, ist das All voll von Licht und unsichtbarer Nacht zusammen - die beide gleich sind -, da es nichts gibt, das nicht einem der beiden zugehört. Kennen lernen wirst du den Ursprung des Himmels und alle Zeichen im Himmel und der reinen klaren Sonnenfackel sengendes Wirken, und woher sie entstanden, und das herumwandernde Wirken des rundäugigen Mondes, und seinen Ursprung. Kennen lernen wirst du auch den rings umfassenden Himmel, woher er entstand und dass die Unentrinnbarkeit ihn überwand und fesselte, die Bande der Gestirne zu tragen, Wie Erde und Sonne und Mond und der gemeinsame Raum und die himmlische Galaxie und der Olymp, der äußerste, und der Sterne heiße Kraft zum Entstehen drängten. Denn die Engeren füllen sich mit ungemischtem Feuer, die auf sie folgenden mit Nacht, dazwischen aber ergießt sich des Feuers Anteil. Inmitten von diesen aber die Göttin, die alles lenkt: Sie gebietet über die schauderhafte Geburt und Paarung von allen Dingen, indem sie zum Männlichen das Weibliche führt, dass Mischung stattfinde, und umgekehrt wiederum das Männliche zum Weiblichen. Zuerst erschuf sie von allen Göttern den Eros In der Nacht scheinendes, um die Erde irrendes, fremdes Licht, Immer schauend nach der Sonne Stahlen. Auf der Rechten die Knaben, auf der Linken die Mädchen. Wenn Frau und Mann zusammen die Keime der Liebe mischen, formt die Kraft, die diese in den Adern aus verschiedenem Blut bildet, wohl gebaute Körper, wenn sie nur die Mischung bewahrt. Denn wenn die Kräfte, nachdem der Samen vermischt worden ist, einander bekämpfen und keine Einheit bilden, werden sie, indem der Samen zweifach bleibt, schrecklich das entstehende Geschlecht schädigen. Denn so wie stets die Vermischung ist von viel irrenden Körpergliedern, so auch wird das Erkennen den Menschen zuteil. Denn dasselbe, was sie denkt, ist sie für die Menschen: die ursprüngliche Beschaffenheit der Glieder, für alle und jeden. Deren Fülle nämlich ist Erkenntnis. In dieser Weise also sind der Meinung nach die Dinge um uns entstanden und sind sie auch jetzt und werden sie künftig, nachdem sie sich voll entwickelt haben, ein Ende nehmen. Die Menschen aber haben diesen Dingen einen Namen, für jedes einen bezeichnenden beigelegt.